Alle Beiträge von Andreas Seidel

Der Autor arbeitet als freiberuflicher Berater. Seit Mitte der 80er Jahre hat er frühe Projekte zur Industrie- und Kontraktlogistik, Logistik-IT sowie zum SCM begleitet. Im vergangenen Jahr hat er ein internationales Non-Profit-Forum gegründet, das sich mit Grundsatzfragen der digitalen Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzt.

So funktioniert das Supply Chain Management der Energiewende

Der Begriff Energiewende steht für eine notwendige Entwicklung, durch eine Reduzierung von CO2-Emmissionen, den offensichtlichen Klimawandel und damit die fortschreitende Erderwärmung einzudämmen. Nachdem bereits der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen wurde, geht es jetzt um die schrittweise Substitution der Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Zentrale Bedeutung wird daher elektrischer Strom für die Energieversorgung der Zukunft haben, wie zu zeigen sein wird, aber nicht ausschließlich. Am Anfang der Versorgungskette rückt die Erzeugung von Strom als Primärenergie vor allem aus Solar- und Windkraft in den Mittelpunkt.

Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch

Dies erfordert einen ersten grundlegenden Perspektivwechsel durch die Entkopplung von Energieerzeugung und -verbrauch. Heute haben wir dadurch eine perfektes Just-in-time-Versorgung, weil konventionelle Kraftwerke bei Bedarfsschwankungen hoch- oder herunter geregelt werden: Der Strom ist verfügbar, ohne dass die Verbraucher von den Prozessen im Hintergrund etwas merken oder wissen müssen. Sonne und Wind lassen sich auf diese Weise aber nicht regeln. In der aktuellen Übergangsphase führt dies immer häufiger dazu, das überschüssige Solar- und Windenergie überhaupt nicht abgenommen werden kann. Als Verbraucher zahlen wir sie trotzdem. Je mehr wir aber Strom aus erneuerbaren Energien produzieren, d. h. konventionelle (fossile) Kraftwerke abschalten, desto weniger können wir uns auch auf einen »automatischen« Ausgleich der Stromproduktion verlassen. Zugleich wird die Zwischenspeicherung des aus Sonne und Wind gewonnenen Stroms unausweichlich.

Die ersten Antworten sind nicht die besten

Die Antwort, die erst mal allen dazu einfällt ist: Da brauchen wir Batterien. So einfach ist dies aber nicht. Und schon an dieser Stelle laufen manche aktuelle Debatten ins Leere, z. B. dass man dafür die bei einem Ausbau der E-Mobilität verfügbaren Fahrzeugbatterien als Puffer nutzen könnte. Fahrzeuge sollen dann bei hoher Stromproduktion geladen werden, bei geringer Produktion aus den Batterien wieder Strom ins Netz abgeben.

Die erste Schwierigkeit besteht aber darin, dass der Nutzungszyklus unserer Fahrzeuge auch da ein ganz anderer ist: Fahrten ins Büro oder zur Güterauslieferung können nicht einfach abgebrochen oder verschoben werden, nur weil nicht planbare Schwankungen zwischen Erzeugung und Verbrauch ausgeglichen werden müssen. Zudem müssen die Fahrzeuge dann auch kurzfristig zur Stromaufnahme bzw. -abgabe an die Ladeinfrastruktur angeschlossen werden müssen. Dies bedeutet, dass wir auch sofort über die Schwankungen informiert werden müssen, um unseren Tagesablauf unterbrechen, um die Fahrzeuge an die Ladeinfrastruktur anzuschließen. Das heißt dann aber auch, dass wir Ladeinfrastruktur für jedes Fahrzeug mehrfach vorhalten müssen, damit – egal wo es sich gerade befindet – auch tatsächlich an eine Ladestation angeschlossen werden kann. Da hilft es auch nicht, wenn wir eine Ladestation zu Hause haben, das Fahrzeug aber gerade vor dem Büro, bei einem Kunden oder vielleicht bei einem Freizeitpark, Fußballstadion oder anderswo parkt. So viel Ladeinfrastruktur zu schaffen, ist allein wirtschaftlich unsinnig. Damit wäre der Effekt, E-Fahrzeuge als Ausgleichsspeicher für Stromversorgungssystem zu nutzen, verpufft.

Die Grenzen einer ausschließlich strombasierten Energieversorgung

Die zweite Frage ist: Reicht das dann auch, um den gewünschten Ausgleich zu schaffen? Das Problem der Entkopplung von Produktion und Verbrauch ist nicht nur, dass kurzfristig Lastspitzen ausgeglichen werden müssen, sondern auch jahreszeitliche Schwankungen. D. h. Energie muss unter Umständen über Monate zwischengespeichert und systematische Energiereserven müssen angelegt werden. Der Worst Case stellt dabei die sogenannte »Kalte Dunkelflaute« dar, eine nach bisherigen Erfahrungen durchaus ernst zu nehmende Verkettung von hohem Heizbedarf bei gleichzeitig geringer Ausbeute bei Sonne und Wind. Prof. Dr.-Ing. Albert Moser von der RWTH Aachen hat dazu vorgerechnet, dass um zwei Wochen kalte Dunkelflaute nur mit elektrischer Energie auszugleichen, ein Bestand von voll aufgeladenen Batterien erforderlich wäre, die einem Raum- und Flächenbedarf von 18 Millionen Seecontainern entsprechen würden. Dies ist etwa das 1,8-fache des jährlichen Containerumschlags des Hamburger Hafens (und nach den zwei Wochen müsste wieder versorgungsdeckend Strom erzeugt werden können).

Der Weg führt zu einer Sektorenkopplung

Hier haben wir also eine Option, die sehr schnell in eine Sackgasse führt, denn auch Vorschläge, fabrikneue Batteriebestände als Reservekapazitäten zu nutzen, wären da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es wird zukünftig also darum gehen, dass eine Überproduktion von Strom durch sogenanntes Power to X in chemische Energieformen (Wasserstoff, synthetisches Methan, gasförmig oder flüssig) umgewandelt wird, die sich dann physikalisch lagern und über eigene Versorgungsnetzwerke verteilen ließen, was dann auch Auswirkungen auf die Verfahren des Energieverbrauchs hätte.

Die Energieexperten sehen in dieser Entwicklung einen sowohl notwendigen wie auch umsetzbaren Weg, der auch schon von einer weitergehend abgeschlossenen konzeptionellen technischen Entwicklung zur konkreten Umsetzung eingeschlagen ist, auch wenn in der populär-öffentlichen Debatte immer noch viele Nebelkerzen und Störfeuer gezündet werden. (Sich in dies alles auch technologisch einzuarbeiten, hat mich die Durchsicht unzähliger Energiestudien, die Teilnahme an Fachkonferenzen und Expertengesprächen gekostet, sodass ich dies nicht auf ein oder zwei Argumente verkürzen könnte, auch nicht auf unterschiedlichste Bedenken eingehen kann. Die Details würden den Rahmen dieses Beitrages sprengen). Die dadurch entstehenden Energieverluste erscheinen gegenüber den Investitionen in eine alleine auf Strom basierenden Infrastruktur vertretbar. Allerdings wäre dann im Anschluss der umgekehrte Weg X to Power, die Rückumwandlung von synthetisierten Kraftstoffen zurück in elektrische Energie, eine Option, die nur in einem möglichst geringen Umfang genutzt werden sollte, weil die Energiebilanz durch eine erneute Umwandlung noch schlechter würde. Das heißt, dass wir möglichst viele Endgeräte dann tatsächlich auch mit »X« betreiben.

Die Herausforderung solcher Betrachtungen ist dabei, dass man da nicht nur auf Energiebilanzen einzelner Endgeräte, wie eines E-Fahrzeuges, schauen darf, sondern jeweils die gesamte Infrastruktur im Auge halten muss. Ganz klar ist: Die höchste Energieausbeute besteht dann, wenn man einen Elektromotor direkt aus einer Batterie betreiben kann. Der Rückschluss auf das zu favorisierende Energiekonzept entscheidet sich nicht am einzelnen Gerät, sondern mit Blick auf die gesamte Infrastruktur: Wir müssen realisieren, Strom kommt nicht voraussetzungslos einfach aus der Steckdose.

Aus diesen Überlegungen ist das Konzept der Sektorenkopplung entstanden, in den elektrische und nichtelektrische Energieversorgung, auch die Umwandlung in verschiedene Energieträger, aber auch die Hersteller von Verbrauchsendgeräten und schließlich die Verbraucher selbst als Gegenstand eines zu optimierenden Netzwerkes werden.

Missverstände über den Weg zur Ausbau der E-Mobilität

Damit kommen wir zu einem weiteren – auf den ersten Blick ganz anderen – Thema. Immer wieder wird der deutschen Automobilindustrie vorgeworfen, den Trend zur Elektromobilität verschlafen zu haben. Aus den vorgenannten Überlegungen stellt sich diese Frage aber noch einmal ganz anders. Ist es in einem Gesamtenergiesystem nicht der sinnvollere Weg, einen großen Teil der Fahrzeuge mit Wasserstoff über Brennstoffzellen zu betreiben?

Dies hätte den Vorteil, eine komplette Endverbrauchsklasse von vorneherein von der volatilen Stromversorgung abzukoppeln. Dadurch würden auch die Komplexität und das Investitionsvolumen für ein granulares Netz von Elektroladestationen eines zukünftigen Gesamt-Energiekonzeptes deutlich reduziert werden. Alles auf die Karte von konventionellen E-Mobilen und Lieferketten wie den Aufbau von Batterieproduktionen zu setzen, lässt sich zwar in gängigen Marketing-Kampagnien und Politikstrategien besser verkaufen, könnte aber wohl am Ende die schlechtere Wahl sein. Allerdings halte ich es für genauso verfehlt, wenn man nicht klipp und klar sagt, dass es nicht nur den einen Weg geben wird.

Wenn ich mich an dieser Stelle ausdrücklich auf das Verbrauchssegment Mobilität beschränke, bedeutet es nicht, dass es sich nur um dieses eine Segment geht, die Zusammenhänge reichen überall dahin, wo Energie – in welcher Form auch immer – benötigt wird.

Wenn der Prozess das Produkt bestimmt

Damit komme ich zurück auf die These, die für den Titel des Beitrages ausschlaggebend ist: Der Gesamtprozess der Energieversorgung bestimmt hier ganz maßgeblich die Wahl der Produkte, sei es auf erster Ebene Strom vs. Wasserstoff (Methan, etc.) oder auf zweiter Ebene Endgeräte, die auf einen Betrieb mit Batterie oder Brennstoffzelle basieren. In unserer Denke von Lieferketten dominiert das Produkt die Kette. Hier wird es fortan anders sein. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang ein iterativer Prozess, in dem sich schrittweise ein Optimum herausstellt. Im Management der Energiewende ist man sich daher darüber einig, dass man unterschiedliche Technologiepfade möglichst lange offen halten muss.

Die frühzeitige Entscheidung für die Wahl der Infrastruktur nur in eine Richtung wäre ein fataler Fehler. Für unser Supply-Chain-Management-Denken mag dies eine ungewohnte Vorgehensweise sein. Nichtsdestotrotz sehe ich in der Entwicklung der Energiewende ein neues und anspruchsvolles Betätigungsfeld – angesichts der Planungshorizonte auch ein zukunftsorientiertes.

Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Geschäftsmodelle werden sich verändern

Viele logistische Aufgaben laufen heute bereits weitgehend automatisiert ab. In einem automatischen Hochregallager gibt es keine Menschen mehr wegzurationalisieren. Eine Datenbrille ersetzt vielleicht Pick by Voice, also eine Optimierung bestehender Technologie. Viele neue Technologien, die gerade entwickelt werden, funktionieren zwar unter den Laborbedingungen brillant, aber eben nur unter diesen oder in eng begrenzten Nischen.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Zustellroboter. Wie viele Roboter müssen bei gegenwärtig 3 Milliarden KEP-Sendungen jährlich auf unseren Bürgersteigen und in Konkurrenz zu Fußgängern oder Radfahrern unterwegs sein, um solche Mengen auszuliefern (abgesehen von Schlechtwetterperioden, in denen sie nicht eingesetzt werden können oder praktischen Herausforderungen wie ein mit Mülltonnen zugestellter Weg)? Selbst dann werden sie ein konventionelles Zustellfahrzeug als Backup brauchen, weil sonst die Wege zwischen Paketaufnahme und Auslieferung viel zu groß werden. Eine normale deutsche Innenstadt entspricht nicht Laborbedingungen!

Industrie 4.0 wird die Supply Chains verändern

Viel größeres Augenmerk sollte daher darauf gerichtet werden, wie sich die Anforderungen von außen an die Logistik verändern. Durch Digitalisierung werden Produktlebenszyklen immer kürzer, Logistikketten müssen ganz neu konfiguriert werden, weil sich gegebenenfalls auch Produktionsstätten verlagern. Der Trend zu kleineren Losen durch hochflexible Fertigung bis zur Losgröße 1, wird die Logistikketten weiter beschleunigen: Production on Demand bedeutet dann auch Delivery on Demand. Der Stückkostenvorteil einer Massenproduktion von Zulieferteilen in Fernost wird gegenüber dem Zeitnachteil einer Containerverschiffung eher verloren gehen. Dies könnte verstärkt wieder zu regionalen Produktionscluster führen, die in der Lage sind, auch kleine Stückzahlen ad hoc zu fertigen und zu liefern. Aktuelles Beispiel ist z. B. die Speedfactory von Adidas, in der das Unternehmen zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder in Deutschland produziert.

Dies wird für Logistiker bedeuten, dass sie hier hochflexible Lösungen liefern und sich räumlichen Veränderungen der Lieferketten anpassen müssen. Was hilft eine hochautomatisierte Logistikanlage, wenn sie einerseits schnell benötigt wird, aber genauso schnell wieder ihre Notwendigkeit verliert. Dagegen sprechen sowohl Planungs-, Realisierungs- wie auch wirtschaftliche Amortisationszeiten.

Daraus lässt sich der Trend weg von den Funktionen der Vorratslagerung hin zu individuellen Handlings- und Distributionszentren ableiten. Diese Individualität spricht eher für zwar hochgradig digital unterstütztes aber doch letztlich manuelles Arbeiten.

Online-Handel bringt neue logistische Aufgaben

Eine andere Entwicklung ergibt sich durch den Trend zum Online-Shopping durch die Digitalisierung des Handels. Hier wird schon überlegt, eine neue feinräumige Logistikstruktur aufzubauen, um gerade die typischen Sortimente des LEH zeitnah zum Kunden zu bringen. Schließlich muss dann die bislang kostenlose Dienstleistung des Kunden, der heute die Ware selbst in den Einkaufswagen und seine Tasche kommissioniert und sich selbst nach Hause liefert, ersetzt werden. An diesem Punkt muss jedoch aufgepasst werden, in welcher Form gerade in diesem Bereich ein neuer prekärer Billiglohnsektor entsteht!

Ein Fazit

Aus den vorangegangen Überlegungen ergibt daher sich folgendes Bild: Die Digitalisierung wird weiter in die Logistik vordringen. Zum Teil wird sie bereits heute eingesetzte Technik durch bessere ersetzen. Technik und logistischer Prozess müssen aber immer zusammenpassen. Je individueller und flexibler logistische Leistungen in der Zukunft werden, desto mehr intelligente Unterstützungsleistung wird benötigt, um die Arbeit effizient zu erfüllen. Gleichzeitig werden manuellen Tätigkeiten in Summe deutlich zunehmen. In Teilen wird dies zu Arbeitsplätzen führen, an denen sowohl hohe digitale wie manuelle Kompetenz benötigt wird, andererseits mit Blick auf die Zunahme des Onlinehandels mehr problematische Arbeitsplätze auf der letzten Meile.

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Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Logistik ohne Menschen geht nicht!

In Ruhrgebiet lautet ein alter Spruch: Im Durchschnitt sind der Chef von Krupp und sein Fahrer beide Millionäre – nur der eine ist es wirklich. In der Logistik verhält es sich ähnlich. Durchschnittsmengen sind in der Auslegung logistischer Systeme keine validen Größen. Sie können lediglich Indikatoren dafür sein, auf welchem Grad eine technisch automatisierte Infrastruktur noch wirtschaftlich ist. Wohl den wenigen Unternehmen, für die der Durchschnitt eine verlässliche Arbeitsgröße ist.

Wann ist Logistik »normal«?

Viele Lieferketten leben mit extremen Schwankungen, die saisonal oder eben auch ohne jeglichen »Plan« in Zickzack-Linien durch das Jahr verlaufen. Große Teile der Süßwarenbranche leben von Ostern und vor allem Weihnachten. Zwar hat man verstanden, dass man Weihnachtsartikel schon ab Anfang September in die Märkte ausliefert, um den größten Peak abzufangen, anderseits könnte der neue Trend zum Onlinehandel im Lebensmittelbereich hier auch zu einer Umkehr führen. Was, wenn der Kunde in Zukunft wieder Osterhasen erst wirklich zu Ostern und Lebkuchen erst wirklich zu Weihnachten bestellt?

Signifikante Mengenschwankungen sind nicht nur ein Problem der Konsumgüterbranche. Die täglichen Ausgangsmengen eines großen Unternehmen im technischen Handel können zwischen 350 und 1.400 vollgeladenen LKW verteilt auf mehrere Standorte schwanken, ohne dass es hier einen planbaren Bezug gibt. Bei 24 Stunden Lieferzusage, bzw. projektbezogenen Terminen und Baustellenbelieferung ist auch keine Glättung möglich. Die Spitzen müssen so abgearbeitet werden, wie sie kommen.

Digitalisierung wird unterstützen, nicht ersetzen

Fakt ist, Digitalisierung wird in Zukunft all diese Prozesse noch effizienter unterstützen. Unrealistisch ist es aber, dass wir auch die möglichen Maximalauslastungen maschinell unterstützen. Allein aus wirtschaftlichen Gründen, wird man Material-, Kommissioniersysteme, etc. in vielen Fällen unterhalb der Maximallast konfigurieren müssen. Technische Infrastruktur vorzuhalten, die nur wenige Tage im Jahr genutzt wird, kann sich kein Unternehmen leisten. Selbst Amazon muss zu Saisonspitzen befristet Mitarbeiter einstellen – und die lassen sich nicht von Maschinen anleiten.

Logistik bedeutet Flexibilität

Das Unvorhergesehene ist in der Logistik immer wieder Realität. Dann müssen Abwicklungslösungen gefunden werden, die außerhalb der digitalen Prozesse und Maschinenparks effizient funktionieren. Wer Logistikalltag kennt, weiß dies nur zu genau. Produktionsschwierigkeiten beim neuen Tesla-Modell 3 zeigen, dass allein digitalisierte Abläufe noch kein Garant für reibungsloses Funktionieren sind uns es ohne Menschen, die die Prozesse auch noch analog beherrschen, nicht geht.

Dazu müssen die digitalen Prozesse so offen sein, dass sie manuelle Abwicklungen weiter zulassen. Der zentrale Punkt ist hierbei: Für solche Fälle muss auch ein solider Bestand an operativen und leitendem Personal zur Verfügung stehen, die in solchen Ausnahmesituationen weiterhin manuelle Logistik in dem neuen digitalen Umfeld sowohl prozesssicher wie handwerklich kompetent abwickeln können.

Logistik ist dynamischer als automatisierte Großsysteme

Große Wertschöpfungsanteile der Logistik sind heute an Logistikdienstleister ausgegliedert, dies oft mit kurzen Vertragslaufzeiten. Wir wissen alle, dass technologische und digital aufwendige Prozesse nicht einfach durch plug & do bei einem Dienstleisterwechsel ausgetauscht werden können, dazu ist die Individualität der logistischen Ketten einfach zu groß.

Persönliche Kompetenz ist Wettbewerbsvorteil

Für die Logistik in Deutschland ist diese Form der Flexibilität weltweit ein Prädikatsmerkmal. Es gibt daher keinen Grund, dies leichtfertig aufzugeben. Wir sind in den letzten Jahren mehrfach auf Platz 1 im globalen Ranking der Logistikkompetenz bewertet worden, ein Resultat von Spitzenmanagement bis zum Facharbeiter. In Summe macht es den Unterschied zwischen Durchschnitt und Top-Performance aus. IT-Lösungen kann man global kopieren. Persönliche Kompetenz eben nicht. Wo Logistik heute schon auf dem Stand der Technik ist, wird es eher inkrementelle Verbesserungen geben.

Eine andere Frage ist, wie sich Industrie und Handel in Folge der Digitalisierung neu aufstellen, was Lieferketten grundsätzlich verändern könnte. Dies wird Thema des dritten Teils dieser Reihe sein.

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Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Hype oder Realität?

Die Digitalisierung schreitet voran und führt gleichzeitig zu großen Verunsicherungen. In einer repräsentativen Umfrage kannten fast 80 % der Befragten weder die Begriffe Industrie 4.0 oder Internet der Dinge, nur knapp 8 % konnten ansatzweise ihre Bedeutung beschreiben.

Auf der anderen Seite ist Digitalisierung auch immer wieder als Hype der IT- und Beraterbranchen beschrieben worden, die sehr viel von ihren Ideen, wenig aber von der Anwendbarkeit verstehen. Grund genug für eine vorläufige Bestandsaufnahme.

Ein wesentliches Grundprinzip der Logistik ist ihre Eigenschaft der Vernetzung von Leistungen. Kernbegriffe sind logistische Kette oder Supply Chain. Hieraus ergibt sich ein erster Ansatzpunkt. Schaut man genauer auf die Dynamik der Digitalisierung, wie dies jüngst auch das Weltwirtschaftsforum in einem Sondergutachten festgestellt hat, dann geht der Schwerpunkt der Förderung digitaler Innovationen in die Entwicklung von Insellösungen, nicht in vernetzte Anwendungen.

Daten – Ein unterschätzter Faktor

Tatsächlich scheitert die Umsetzung vieler innovativer digitaler Produkte entweder am schlichten Mangel valider Inputdaten und/oder an deren mangelnder Konnektivität, sprich diese organisatorisch wie auch technisch auf gemeinsamen Standards auszutauschen. So hat sich z.B. ein namhafter Geräte- und Anlagenhersteller der SHK-Branche selbst ein straffes 8 Jahresprogramm verordnet, die interne produktbezogene Datenerzeugung und -verwendung von der Entwicklung bis zum After Sales auf eine einzige Datenplattform zu überführen, um wirklich konsequent Industrie und Logistik 4.0 realisieren zu können. Diese Herausforderung wird leider vielfach unterschätzt.

Modellanwendungen sind oft solche, bei denen für ein oder zwei Produkte ein Werk auf der grünen Wiese erstellt wurde. Ein (logistisches) Lifecycle-Management ist in den Konzepten schlicht nicht vorgesehen. Bestes Beispiel ist das Fairphone, dass mit dem Anspruch auf ein nachhaltiges Smartphone angetreten ist und schon jetzt bei Generation 2 die Ersatzteilversorgung für die 1. Generation nicht mehr sicherstellen kann. Solche Entwicklungen sind aber für ganzheitliche Produktions- und Logistikkonzepte schlicht untauglich. Logistik bedeutet auch Nachhaltigkeit.

Mangelnde Schnittstellen, Protokolle und gemeinsame Lösungen

Jetzt erst beginnt die Industrie sich auf gemeinsame Schnittstellen und Protokolle für den Datenfluss zwischen Maschinen und Akteuren zu verständigen. Auch hier ist unmittelbar die Logistik involviert, die solche Informationen in der Supply Chain aufnehmen und weitergeben muss. Sie ist von den Herstellern abhängig.

Ein weiteres Problem der Konnektivität in der Logistik sind neben logischen Standards auch Physische. So hängen z.B. viele digitale Innovationen an intelligenten Behältern und Ladungsträgern (Paletten). Diese sind wieder wirtschaftlich abhängig von Poolsystemen, an denen sich viele Unternehmen beteiligen und so ein Tausch- und Kreislaufsystem ermöglichen.

Dies führt zu Innovationen in der Sackgasse. Bislang hat man daraus wenig Lehren gezogen. Statt endlich das eigentliche Problem der Umsetzung von Technologie anzupacken, setzt man bislang noch immer darauf, Pioniertechnologien zu fördern, die andere Pioniertechnologien schon wieder ablösen, bevor diese überhaupt Marktreife oder Marktdurchdringung erreicht haben.

Ausblick

Die Digitalisierung stellt sich hier gegenwärtig selbst ein Bein. Dies allein ist noch kein Grund generell Entwarnung zu geben. Die Herausforderung an die Mitarbeiter in der Logistik wird sein, auch als »Grenzgänger« die komplexere digitale Welt zu beherrschen. Im zweiten Teil dieser Reihe soll daher näher darauf eingegangen werden, welche Rolle der Flexibilitätsfaktor Mensch gegenüber intelligenten Maschinen in der Logistik hat. Im dritten Teil wird betrachtet, wie sich Logistikkonzepte in einer digitalen Umwelt verändern, welche Auswirkungen z.B. das Ziel Losgröße 1 oder der Trend zum Online-Shoppen haben.

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Richtige Wege zur Digital Readiness für Logistiker

In den Medien steht Logistik in Sachen Digitalisierung schlecht da – letzter Platz im Branchenranking und deshalb Kritik von allen Seiten. Zugleich ist auf den Führungsetagen vieler Logistiker Ratlosigkeit zu spüren: Was bitte sollen wir denn digitalisieren? Vor allem der Blick nur auf IT ist ein großer Fehler. Der Dschungel sich regelmäßig widersprechender News, Studien und Innovationsmeldungen macht die Entscheidungslage nicht einfacher – ganz offensichtlich wird die Dynamik der Logistikbranche falsch eingeschätzt. Meist sind die Kunden die Besitzer der Daten und geben IT-Anforderungen vor. Das schränkt eigene digitale Initiativen schon drastisch ein. Damit werden auch Investitionen in Digitalisierung Verhandlungssache. Man sollte auch den Beitrag, den die Logistik bislang bei der Steuerung und Abwicklung von Logistikketten geleistet hat, nicht vergessen. Darunter gibt es viele bereits bewährte Anwendungen und Methoden, die längst noch nicht allgemeiner Standard sind.

Auf eigene Faust digitale Vorzeigeprojekte loszutreten, ist vielleicht Sache der Big Player, nicht aber für einen solide kaufmännisch kalkulierenden Mittelstand, solange nicht ein Kunde als Auftraggeber dahinter steht. Also doch alles auf Entwarnung? Und bedeutet Digitalisierung überhaupt immer Ausbau von IT-Lösungen?

Aus einer Vielzahl von Gesprächen der jüngeren Vergangenheit ist ein Leitfaden entstanden, mit dem sich eine ganze Menge Klarheit schaffen lässt.

Digitalisierung ist nur ein Schlagwort

Es besagt nichts über richtige Strategien. Die Marker nur an Digitalisierungs-Trends wie Big Data oder Internet of Things zu setzen, ist kein Ansatz für zukunftsorientierte IT und Organisation. Selbst Kai Goerlich, Chief Futurist des Softwarekonzerns SAP räumt ein, dass vieles, was jetzt als Revolution vorgestellt wird, lediglich gute Marketingstrategie sei.

Industrie 4.0 verändert die Spielregeln

Produktionskonzepte wie Production on Demand können konsequenterweise zu einer Abkehr von bisherigen Globalisierungsstrategien hin zu regionalen Zuliefernetzwerken, anderen Bestands- und Verteilkonzepten führen, um digitale Zeitvorteile nicht wieder durch lange Lieferketten zu verlieren. Zeit wird ein größerer Faktor werden als Kostenvorteile in Billiglohnländern oder große Stückzahlen, d. h. die nächste Logistikausschreibung eines Stammkunden könnte schon radikal andere Anforderungen beinhalten.

Digital Readiness

Die Kernstrategie von Logistikdienstleistern muss daher Digital-Readiness lauten: Was die Kunden zukünftig planen, sollte man nicht erst aus der Tagespresse oder bei Vertragskündigung erfahren. Im Kern heißt das, IT, Prozesse, Mitarbeiter zu einer Digital Readiness zu führen, um auf Marktveränderungen bzw. Kundenanforderungen kompetent mit Lösungsvorschlägen reagieren zu können. Dies beginnt meist schon mit der Frage: Wie gut sind wir im Branchenvergleich schon aufgestellt? Verfügen wir z. B. schon über ein leistungsfähiges Prozess- und Wissensmanagement?

Digitalisierung und Skaleneffekte

Viele Logistik 4.0 Pilotanwendungen wie z. B. intelligente Ladungsträger bleiben heute im Versuchsstadium, weil Einzellösungen keine kritisch-wirtschaftliche Masse bilden. Der Schritt vom Labor in den Echtbetrieb scheitert aber zum Teil auch an technischer Zuverlässigkeit unter Realbedingungen oder ganz einfach an Stückkosten.

Keine Standardgeschäftsmodelle/Blaupausen

»Die« Digitalisierung von der Stange gibt es nicht, schon gar nicht von Anbietern ohne Markt-Background. Digitalstrategien sind daher bislang individuelle Lösungswege, vergleichbar der Logistik in den 80er, frühen 90er Jahren: Pionierarbeit.

Insellösungen?

Die Stärke der Logistik ist es Partner in der Kette zu vernetzen, kundenorientierte Lösungen sind der Anfang von Standards, diese Reihenfolge bleibt sinnvoll.

IT oder Management?

Die Verantwortung für Digital Readiness liegt zunächst bei der Unternehmensleitung und Key-Account-Management, Entwicklung früh zu erkennen, einzuschätzen wie die Organisation und IT darauf vorbereitet ist, erst daraus ergeben sich auch notwendige Maßnahmen.

Logistiker sind daher gut beraten, wenn sie sich erst einmal Gesprächspartner suchen, die nicht gleich Must-Have-Lösungen anbieten wollen.