Alle Beiträge von Ingo M. Rübenach

Qualitätsprüfung in der Additiven Fertigung

Die Additive Fertigung entwächst derzeit ihren begrenzten Anfängen im Rapid Prototyping. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass das Verfahren ihnen auch in der Serienproduktion ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Hersteller aus unterschiedlichsten Branchen möchten das Potenzial ausschöpfen, durch 3D-Druck-Technologien ihr Produktportfolio deutlich zu verändern und zu erweitern. Derzeit sind es noch Fertigungsunternehmen im Bereich hochwertiger Güter aus Branchen wie Luftfahrt und Biomedizin, die die Speerspitze unter den Anwendern Additiver Fertigung bilden, gefolgt vom Automotive-Bereich und dem Werkzeug- und Formenbau.

Additive Fertigung erreicht die Massenproduktion

Aber auch für die industrielle Serienfertigung ist die neue Technologie hochrelevant. Zu den großen Vorteilen der Additiven Fertigung gehört es, dass Unternehmen durch sie Teile mit variablem Design herstellen und eine kundenindividuelle Massenproduktion aufnehmen können. Additive Fertigung ist zudem in der Lage, die Leistungsfähigkeit zu erhöhen und die Qualität zu steigern, indem Produkte langlebiger, widerstandsfähiger und leichter werden. Hersteller können durch 3D-Druck Komponenten mit komplexeren Funktionen fertigen, ihre Kosten reduzieren, die Produktion beschleunigen und die Supply Chain für ihre Fertigung verkürzen. Die Technologie ist inzwischen so ausgereift und hat ein solch hohes Niveau erreicht, dass Unternehmen aus Luftfahrt und Medizintechnik sie bereits regelmäßig verwenden, um mit ihr Funktionsteile für Nischenanwendungen herzustellen. Je weiter und schneller sich der 3D-Druck in der Fertigungsindustrie aber verbreitet, desto wichtiger wird es, die mit ihm hergestellten Teile zu prüfen und zu zertifizieren. Vor einer Markteinführung der Produkte ist dies unerlässlich.

ISO/TC 261 und ASTM F42 treiben die Standardisierung voran

Wegen der inhärenten Charakteristik des Prozesses unterscheiden sich Produkte aus Additiver Fertigung erheblich von solchen aus konventioneller Produktion. Wenn die Qualität auf jeder Stufe des Additiven Fertigungsprozesses sichergestellt werden soll, um Teile mit einem konstant hohen Qualitätsniveau zu produzieren, ist es notwendig, nicht nur das fertige Produkt zu prüfen, sondern auch Prüfungen während des Prozesses durchzuführen. Eine der größten Herausforderungen für die Qualitätssicherung und Zertifizierung in der Additiven Fertigung besteht darin, geeignete Standards zu schaffen: für die Materialien, die Prozesse und die Produkte. Die Entwicklung entsprechender Standards wird derzeit von zwei Normierungsorganisationen in gemeinsamer Arbeit vorangetrieben: von „ISO/TC 261 Additive manufacturing“ und vom „ASTM International Technical Committee F42 on Additive Manufacturing Technologies“. Nach eingehenden Beratungen haben ISO/TC 261 und ASTM F42 Ende 2013 ein koordiniertes Vorgehen beschlossen: einen „Joint Plan for Additive Manufacturing Standards Development“.

Struktur der neuen Normen

Die Normierungsverfahren sind dabei in drei Ebenen gegliedert: die General Top-Level Standards, die Category Standards und schließlich die Specialized Standards. Bei der allgemeinen Normierung auf der obersten Ebene geht es um Terminologie, um Prozesse und Materialien, um allgemeine Testmethoden sowie um Design und Datenformate. Von der nächsten, der Kategorie-Ebene an unterscheidet der Normierungsplan jeweils zwischen drei Bereichen: Raw Materials, Process/Equipment und Finished Parts. Bei den Rohmaterialien geht es auf der Kategorie-Ebene um Metallpulver, Polymerpulver, Photopolymer-Kunstharze, Keramik etc. Im Bereich Prozesse und Ausrüstung befassen sich die Normen beispielsweise mit Powder Bed Fusion, also mit thermischen Pulverbett-Fusionsprozessen, oder mit Material-Extrusion. Bei den Normen für Endprodukte geht es auf der Kategorie-Ebene unter anderem um mechanische Testmethoden, sei es für Metalle, Polymere oder andere Werkstoffe. Auf der untersten Ebene der Specialized AM Standards sei hier der Bereich Finished Parts hervorgehoben – denn hier sind ausdrücklich applikationsspezifische Normen vorgesehen: für den Luftfahrtbereich, die Medizintechnik, die Autoindustrie etc.

Der Zeithorizont für die Normierung

Die meisten Normen aus der obersten, der allgemeinen Ebene sind bereits veröffentlicht. „ISO 17296-2:2015 Additive manufacturing, General principles, Part 2” etwa gibt einen Überblick über Prozesskategorien und Rohmaterialien. Auch die Teile 3 und 4 liegen bereits vor, während sich Teil 1, der sich mit der allgemeinen Terminologie der Additiven Fertigung beschäftigt, derzeit noch in der Zustimmungsphase befindet. Für die Schaffung neuer Standards lassen sich durchaus auch bereits bestehende Normen als Vorlage nutzen. So können beispielsweise viele existierende Material-Prüfungsnormen unmittelbar auf die Additive Fertigung übertragen werden. Einige nachgeordnete Normen, die sich mit den Rohmaterialien befassen, sind bereits veröffentlicht, wie etwa: „F2924-14 Standard Specification for Additive Manufacturing Titanium-6 Aluminum-4 Vanadium with Powder Bed Fusion” oder „F3091/F3091M-14 Standard Specification for Powder Bed Fusion of Plastic Materials“. Eine große Zahl weiterer neuer Normen befindet sich derzeit in der Vorschlagsphase. Aufgrund der aktuellen Roadmap darf man davon ausgehen, dass der Löwenanteil der Normen für den Bereich der Additiven Fertigung in einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren vorliegen dürfte.

Aufgabe 1: Prüfung des Metallpulvers
Der erste Schritt in der Qualitätssicherung für ein per 3D-Druck hergestelltes Produkt besteht darin, bereits die Rohmaterialien zu prüfen und zu charakterisieren. Denn die Materialeigenschaften des Endprodukts hängen stark von etwaigen Schwankungen der Eigenschaften des Rohmaterials ab. Schon verschiedene Chargen desselben Pulverrohmaterial-Produzenten beispielsweise können sich signifikant unterscheiden. Und Additive Fertigung mit Metallen findet im Wesentlichen mit einem Metallpulver als Rohmaterial statt – Ausnahmen sind das Verfahren der Ultrasonic Consolidation, bei dem Metallfolien benutzt werden, und die Electron Beam Free Form Fabrication (EBFF), die mit Metalldraht arbeitet. Die Eigenschaften des Metallpulvers spielen für die Qualität immer eine zentrale Rolle: sei es die chemische Zusammensetzung des Pulvers, die Größenverteilung der Partikel, die Fließfähigkeit oder die Temperatur. Auch die Dichte des Pulverrohmaterials hat einen wichtigen Einfluss auf die Porosität des fertigen Produkts. Es ist darum für den Hersteller unerlässlich, die Eigenschaften eines Metallpulvers zu überprüfen, bevor er es zur Additiven Fertigung verwendet. Es gilt also, entsprechende Kriterien für das Benchmarking der Rohmaterialien zu entwickeln und angemessene Methoden für die Probenahme zu wählen – mit Proben, die für die Rohmaterial-Charge tatsächlich repräsentativ sind. Nur durch stringente Prüfmethoden für die Eigenschaften des Metallpulvers wird ein Hersteller auch konsistente Eigenschaften seiner gefertigten Teile sicherstellen.

Aufgabe 2: Prüfung des Fertigungsprozesses
Im Prozess der Additiven Fertigung gibt es ebenfalls viele Variablen, die auf das Ergebnis einen entscheidenden Einfluss haben. Entsprechend sind auch prozessbegleitende Prüfungen unerlässlich – das sogenannte In-Process-Testing –, damit der Fertigungsprozess innerhalb der erforderlichen Toleranzbereiche stattfindet. Dazu braucht es Verfahren und Methoden, mit denen die Variablen auf verschiedenen Stufen des Prozesses effektiv kontrolliert werden können – etwa um eine Kontamination des Pulverrohmaterials durch die Handling-Vorgänge auszuschließen. Wenn die entsprechenden Methoden entwickelt sind, ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Anforderungen auf jeder Stufe des Fertigungsprozesses erfüllt werden und ihre Erfüllung nachgewiesen werden kann.

Aufgabe 3: Prüfung der produzierten Teile
Die Qualitätsprüfung für additiv gefertigte Metallprodukte ähnelt der, die man auch für alle gegossenen oder geschmiedeten Teile anwenden würde. Allerdings unterscheidet sich das Vorgehen. So kann man konventionell gefertigte Teile beispielsweise mit Wirbelstromsonden zerstörungsfrei prüfen. Sehr viele Produkte aus Additiver Fertigung weisen allerdings relativ komplexe Formen auf, sodass in diesen Fällen eigens entwickelte Sonden nötig werden können. Derzeit wird 3D-Druck eingesetzt, um einzelne Komponenten größerer Teile oder Baugruppen zu fertigen. Die Qualitätsprüfung muss also ebenso auf Ebene der Komponente stattfinden wie auf Ebene der größeren Baugruppe – um zu gewährleisten, dass die additiv gefertigte Komponente auch den funktionalen Anforderungen der Baugruppe genügt. Es zählt zu den Aufgaben, die im Zusammenhang mit Prüfung und Zertifizierung noch zu bewältigen sind: Richtlinien und Regeln zu entwickeln, die für die Compliance von Komponenten gelten, die durch Additive Fertigung produziert werden. Dazu sind Anstrengungen im Bereich Qualitätskontrolle nötig, im Bereich der koordinierten Normenentwicklung, aber auch im Bereich der Gesundheits- und Sicherheitsaspekte.

Training in Sachen Additiver Fertigung

Was Qualitätssicherung, Validierung, Prüfung und Zertifizierung der Produkte aus Additiver Fertigung angeht, muss man derzeit noch relativ große Lücken konstatieren. ISO und ATSM arbeiten durch ihre Normierungsanstrengungen daran, diese Lücke zu schließen. Aber auch global agierende Organisationen für Produktsicherheit und Zertifizierung wie UL tun bereits einiges, um das Wachstum der Additiven Fertigung voranzutreiben und Unternehmen bei diesem wichtigen Schritt zu unterstützen. Einerseits kooperiert UL mit beiden Normierungsorganisationen, ISO und ATSM, aber UL hilft Unternehmen auch ganz direkt: durch umfassendes und neutrales Know-how über Additive Fertigung aus einer Hand. Konkret unterstützt UL dabei, unternehmensinterne Standards und Guidelines für Additive Fertigung zu erarbeiten. Auch durch ein umfangreiches Trainingsportfolio für die Mitarbeiter werden Unternehmen beim Schritt in die Additive Fertigung unterstützt. Zudem hilft UL durch umfassende Beratungsleistungen und die Entwicklung von Best Practices bei der Adaption der neuen Technologie. Denn eines scheint sicher – ob man die Technologie nun Additive Manufacturing, Generative Fertigung oder 3D-Druck nennt: Sie wird die Zukunft der Fertigungsindustrie prägen.

Industrie 4.0: die ungeklärte Revolution – Teil 3

5. Wem gehören die Daten?

Die cyber-physischen Systeme von Industrie 4.0 betreffen die Smart Factory, zugleich sollen sie auch für eine enge Vernetzung und umfassende vertikale Integration der gesamten Supply Chain sorgen. Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette werden viel stärker miteinander kooperieren müssen als bisher. Auch Kooperationen mit Wirtschaftsverbänden, politischen Entscheidern und sogar Wettbewerbern werden eine Rolle spielen. In der Industrie 4.0-Welt lautet die Frage nicht mehr, wie stark die Spinne ist, sondern: Wie stark und groß ist ihr Netz? Die horizontale Integration der Supply Chain wirft auch die Frage auf, wem die Daten gehören und wer von ihnen profitieren darf. Eine Industrie 4.0-Welt ist eine Welt von Big Data. Die Macht etwa von Google beruht darauf, auf einen wertvollen Datenschatz zugreifen und ihn heben zu können. Fragen von Datenschutz und Datensicherheit erhalten vor diesem Hintergrund neue Relevanz. Es wird Aufgabe des Gesetzgebers sein, für Klarheit über die Rechtssituation zu sorgen: Wer darf auf Basis welcher Daten welchen Prozess entlang der Supply Chain mit welchen Zugriffsrechten auslösen und steuern? Und wer trägt dabei welche Verantwortung?

6. Keine Vernetzung ohne Cyber Security

In der Welt von Industrie 4.0 und des Internet of Things ist es nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, dass Produktionsanlagen und Produkte über Schnittstellen zum Internet verfügen. Dass sich heute schon ganze Produktionsanlagen standortunabhängig, sozusagen per iPad, steuern lassen, ist sicherlich ein Fortschritt, stellt aber auch ganz neue Anforderungen an die Sicherheit. Wollte ein Saboteur in Zukunft beispielsweise die Auslösekennlinie eines Leistungsschutzschalters verändern und damit Schaden für Menschen, Maschinen und Gebäude verursachen – beispielsweise eine Feuergefahr –, müsste er sich gegebenenfalls nur über das Internet ins System hacken. Cyber-physische Systeme vor unautorisierten Zugriffen und Fehlsteuerungen zu bewahren, ist eine enorme Herausforderung – weil die Systeme umfassend vernetzt und enorm flexibel sind. Es braucht darum ein völlig neues Zusammenspiel von Betriebssicherheit (Safety), Datenschutz (Privacy) und Informationssicherheit (Cyber Security) – all diese Sicherheitsaspekte müssen in den Komponenten und Systemen integriert sein. Im Kontext von Industrie 4.0 hat Cyber Security eine sehr reale, physische Dimension. Die Vulnerabilität umfassend vernetzter Produktionssysteme gegen Angriffe von außen kann zu physischen Gefahren und Risiken führen – vom Feuer bis zum elektrischen Schlag. Alle Eingriffe in die Cyber-Seite eines cyber-physischen Systems haben potenziell auch Auswirkungen auf seiner physischen Seite. UL arbeitet deswegen zusammen mit unabhängigen forschenden Partnern daran, die beiden Sicherheitsdimensionen stärker miteinander zu verbinden: die neuen IT-Standards und -Protokolle einerseits mit den traditionellen elektrischen Sicherheitsstandards und den funktionalen Sicherheitsanforderungen andererseits. Dennoch: Viele Fragen, die die Sicherheitsanforderungen an eine umfassend vernetzte und entsprechend verwundbare Industrie 4.0-Welt betreffen, sind noch nicht einmal formuliert, geschweige denn beantwortet.

7. Fazit: Ein weiter Weg

Es ist die große Aufgabe von Forschung, Wirtschaft sowie Normierungs- und Zertifizierungsunternehmen, gemeinsam die Sicherheitsanforderungen an die dynamische Industrie 4.0-Welt und das Internet of Things zu definieren. Von Standards, die die cyber-physikalischen Systeme der Zukunft erfüllen müssen, sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Jetzt – noch ganz am Anfang der vierten industriellen Revolution – ist schon viel gewonnen, wenn wir die zahlreichen blinden Flecken umreißen, Forschungsschwerpunkte identifizieren und sinnvolle, zielführende Fragestellungen formulieren. Bei der Umsetzung von Industrie 4.0 sind wir ebenso am Anfang wie bei der Lösung der damit verbundenen Sicherheitsfragen. Die intelligente, umfassend vernetzte Industrie 4.0-Welt eröffnet völlig neue Chancen. Um sie zu nutzen, müssen wir auch die Risiken der Revolution in den Griff bekommen. Ist es noch ein weiter Weg – aber es lohnt, ihn zu gehen.

Hier geht es zum zweiten Teil des Artikels „Sicherheit als Herausforderung für eine Industrie 4.0-Welt

Industrie 4.0: die ungeklärte Revolution – Teil 2

3. Wer verantwortet den 3D-Druck?

Noch überwiegt die Zahl der unbeantworteten Fragen. Derzeit ist beispielsweise weder geklärt, wer in einem Additive Manufacturing-Prozess für Sicherheit sorgen muss, noch wer eine rechtliche Gewährleistungspflicht für das Produkt hat: Ist es der Hersteller des 3D-Druckers, der Lieferant des Rohmaterials oder der Anwender des 3D-Druckers? Eine der größten Herausforderungen für die Qualitätssicherung und Zertifizierung in der additiven Fertigung ist es, geeignete Standards zu schaffen: für die Materialien, die Prozesse und die Produkte. Der erste Schritt in der Qualitätssicherung für ein additiv gefertigtes Produkt besteht darin, bereits die Rohmaterialien zu prüfen und zu charakterisieren. 3D-Druck mit Metallen beispielsweise findet im Wesentlichen mit einem Metallpulver als Rohmaterial statt – schon dessen Eigenschaften spielen für die Qualität des Endprodukts eine wesentliche Rolle: sei es die chemische Zusammensetzung des Pulvers, die Größenverteilung der Partikel, die Fließfähigkeit oder die Temperatur. Auch die Dichte des Pulverrohmaterials hat einen wichtigen Einfluss auf die Porosität des fertigen Produkts. Zudem sind prozessbegleitende Prüfungen notwendig, damit der eigentliche Fertigungsprozess innerhalb der erforderlichen Toleranzbereiche stattfindet. Ebenso sind natürlich Prüfungen des fertigen Produkts geboten. Was Qualitätssicherung, Validierung, Prüfung und Zertifizierung der Produkte aus additiver Fertigung angeht, gibt es noch große Lücken. UL unterstützt die Normierungsanstrengungen von Organisationen wie ISO und ASTM im Bereich additiver Fertigung, aber faktisch ist derzeit noch vieles ungeklärt.

  1. Arbeitssicherheit in der autonomen Smart Factory

Ein wichtiger Aspekt von Industrie 4.0 ist der hohe Grad an Selbstorganisation, der die Fertigung in der Smart Factory der Zukunft auszeichnen wird. Die neuen cyber-physischen Systeme sollen intelligent genug sein, Produktionsprozesse selbst zu definieren und autonom zu steuern. Die cyber-physische Smart Factory wird hochflexibel sein und soll dank einer umfassenden vertikalen Integration ad hoc auf eine konkrete Nachfrage reagieren können: Kündigt sich beispielsweise im Auto das Versagen einer Komponente an, bestellt die Smart Factory bereits die benötigten Rohstoffe, verändert den Standort von Betriebsmitteln, richtet die Fertigungsstraße ein und produziert das Ersatzteil. Auch unsere Arbeitswelt wird sich durch diese Dynamisierung nachhaltig ändern. Im hochflexiblen Smart Manufacturing der Zukunft werden Fertigungsmitarbeiter wohl auf die Rolle von Kontrolleuren für autonom arbeitende Systeme reduziert. Zugleich hat eine extrem dynamische Arbeitsumgebung gravierende Konsequenzen für die Arbeitssicherheit. Hier stellt sich die große Frage: Wie lässt sich überhaupt für Arbeitssicherheit in einer Industrie 4.0-Welt sorgen? Wie gelingt es, einen sicheren Rahmen für die flexible Arbeitsumgebung einer Smart Factory zu schaffen und Mitarbeiter vor Schaden zu schützen? Es wird die gemeinsame Aufgabe von Industrie einerseits und Sicherheits- und Zertifizierungsunternehmen andererseits sein, zu erforschen, wie Sicherheit in diesem Kontext sinnvoll definiert und gewährleistet werden kann.

Hier geht es zum ersten Teil des Artikels „Sicherheit als Herausforderung für eine Industrie 4.0-Welt

Industrie 4.0 – die ungeklärte Revolution

Betrachtet man all die Felder, auf denen die neuen Technologien und Geschäftsmodelle, die mit Industrie 4.0 verbunden sind, für tiefgreifende Veränderungen sorgen werden, kann man wirklich von revolutionären Umwälzungen sprechen. Der Begriff „Revolution“ weist allerdings auch schon auf eine entscheidende Herausforderung für alle Beteiligten hin, seien es Wirtschaftsunternehmen, Kunden, Politik und Gesetzgebung, Regulations- und Normierungsbehörden oder Zertifizierungsdienstleiter wie UL:

  1. Die Revolution braucht Sicherheit

Ob man es lieber Industrial Internet of Things, Smart Manufacturing oder – wie vor allem im deutschsprachigen Raum – Industrie 4.0 nennt: die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Produkten ist in der Tat eine revolutionäre Umwälzung. Fertigungsanlagen entstehen aus cyber-physischen Systemen, die umfassend miteinander vernetzt sind. Zugleich wird ein ebenfalls wachsendes Internet of Things – die Vernetzung von immer mehr Produkten – starken Einfluss auf die Geschäftsmodelle in verschiedensten Branchen haben. Während es im Jahr 2010 rund fünf Milliarden per Internet vernetzte Menschen gab, werden bis 2020 rund 50 Milliarden vernetzte Dinge hinzukommen. Der Handel ist von der umfassenden Digitalisierung ebenso betroffen wie der Finanzsektor oder Branchen wie beispielsweise Automotive, Hightech und Energy. In vielen Branchen verlieren klassische Geschäftsmodelle mehr und mehr ihre Daseinsberechtigung – was sie zunehmend angreifbar macht. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Entwicklungen von der Smart Factory über Connected Car, Connected Home und Smart Metering bis hin zu Smart Watches und anderen Wearables ganz neue Ansprüche an die Sicherheit stellen. Für Hersteller und Anbieter wird Sicherheit ein Kernbestandteil des Umsetzungsprozesses von Industrie 4.0.

  1. Hochindividuelle Produkte

Produktionsabläufe werden in einer Welt des Smart Manufacturing andere sein. Unter anderem verabschiedet sich die Fertigung in der Smart Factory der Zukunft vom alten industriellen Paradigma der Standardisierung. Die Automobilbranche erlaubt bereits einen Ausblick auf den Trend: Längst gibt es nicht mehr für jeden Kunden denselben schwarzen „Ford Model T“, sondern ein hochindividuell konfiguriertes Fahrzeug. Im Industrie 4.0-Zeitalter ist es mit der sprichwörtlichen Gleichförmigkeit von Industrieprodukten endgültig vorbei. Gerade die modernen Technologien des Additive Manufacturing – in der deutschen Öffentlichkeit eher als 3D-Druck geläufig – versprechen die Möglichkeit einer nahezu unbegrenzten Individualisierung: mit einer Chargengröße von 1. Dies hat auch Auswirkungen auf das Kerngeschäft von Sicherheits- und Zertifizierungsunternehmen wie UL. Vor mehr als 120 Jahren in den USA als Underwriters Laboratories gegründet, hat UL seit jeher die Entwicklung von Normen und innovativen Sicherheitslösungen für den Schutz der Lebens- und Arbeitswelt begleitet. Wenn heute etwa ein Ladegerät verkauft werden soll, braucht es dazu, beispielsweise für den amerikanischen Markt, eine Zulassung gemäß den bestehenden Normen. Solch ein Zertifizierungsvorgang, also die Überprüfung der Konformität mit der relevanten Sicherheitsnorm, ist einfach durchführbar, solange es von dem Ladegerät einen Prototypen oder eine Vorserie gibt. Wenn die Losgröße von Produkten aber auf 1 schrumpft, stehen interne Qualitätssicherung wie externe Zertifizierung vor einer völlig neuen Herausforderung – die nur in internationalem Maßstab zu lösen ist. Für UL stellt die Beschäftigung mit den Sicherheitsfragen rund um Industrie 4.0 eine konsequente Fortführung jener „Safety Mission“ dar, die das Unternehmen seit seiner Gründung verfolgt. Es ist allerdings absehbar, dass sich durch Industrie 4.0 auch das Kerngeschäft der Zertifizierungsunternehmen deutlich verändern wird.