Industrie 4.0 – Nur mit durchgängigen, modularen Produktstrukturen

Die digitale Zukunft

Schon in seiner Studie aus dem Jahre 2015 identifiziert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) neue digitale Arbeitsweisen und Geschäftsmodelle, welche unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zusammengefasst werden, als eine große Chance für den deutschen Mittelstand.  

Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Optimierung der Produktion – es wird die gesamte horizontale Wertschöpfungskette beeinflusst, digitale Produktentstehungsprozesse und digitale Produktionsprozesse werden integriert und Engineering-Prozesse werden durch digitale Produktmodelle unterstützt, welche in allen Unternehmensbereichen durchgängig genutzt werden

Die Produkte dieser Zukunft sind cyber-physikalische Produkte, vernetzte Systeme und Dienstleistungen, bei denen der Wertanteil von Elektronik und Software immer weiter zunimmt. 

Die Entwicklung solcher Produkte mit digitalen Produktenstehungs- und Produktionsprozessen erfordern ein Umdenken bei Konstruktionsmethoden, Prozessen und Organisationsformen. Eine interdisziplinäre und integrierte Produktentwicklung ist nötig. Der Backbone eines durchgängigen digitalisierten Produktlebenszyklus ist eine durchgängige Produktstruktur.

Diese Produktstruktur muss den modularen Aufbau des Produktes abbilden. Eine modulare Produktarchitektur ist nötig, um bei immer kleineren Losgrößen und kürzeren Produktlebenszyklen wirtschaftlich erfolgreich zu entwickeln und zu produzieren. Schon 2014 benannte der VDMA in seiner Studie Zukunftsperspektive Maschinenbau eine verstärkte Modularisierung und Standardisierung als einen der wichtigsten Trends für den deutschen Maschinenbau.

Welche Produktstruktur bin ich? Und wenn ja, wie viele?

Eine durchgängige Produktstruktur als Backbone eines unternehmensweiten gemeinsamen Produktmodells ist aber in den wenigsten Unternehmen Realität. Häufig gibt es eine Vielzahl von Brüchen der Produktstrukturen zwischen den Disziplinen und innerhalb der Disziplinen. 

Die Anforderungen an das Produkt werden in einer Anforderungsstruktur gruppiert, in der Konzeptphase wird eine Funktionsstruktur entworfen, bei der konstruktiven Umsetzung werden verschiedene CAD Strukturen erzeugt und im Produktionsprozess werden Produktions- und Montagestücklisten verwendet.

Innerhalb dieser Disziplinen gibt es wiederum verschiedene Strukturen. Werden in der Entwicklung neue Maschinenvarianten im copy-paste-Verfahren entwickelt, entstehen eine Vielzahl von Produktstruktur-Variationen. So kann sich dann eine identische technische Lösung unter verschiedenen Namen in verschiedenen Bereichen der Produktstruktur wiederfinden.

Ein Schritt nach dem Anderen

Das Ziel ist ein digitales Produktmodell, welches in allen Unternehmensbereichen durchgängig genutzt wird. Es soll die Produktentstehung und Produktproduktion integrieren.

Getrieben von dieser Zielvorstellung ist es verlockend direkt nach dem passenden Product Lifecycle Management (PLM) Tool für ein solches digitales Produktmodell zu suchen – das würde aber heißen den letzten Schritt nach dem ersten machen zu wollen.

Das zentrale Nervensystem eines PLM ist eine durchgängige, interdisziplinäre und integrierte digitale Produktstruktur. Wie zuvor beschrieben ist bei den wenigsten Unternehmen eine soclhe Produktstruktur verfügbar. Vor der Umsetzung in einem PLM System ist also die Herausforderung eine solche Struktur zu erarbeiten.

Es gibt meist verschiedene existierende Produktstrukturen aus Sicht der verschiedenen Disziplinen und für die verschiedenen Produktvarianten. Es bedarf daher eines methodischen Vorgehens, um eine durchgängige, gemeinsame Produktstruktur zu erstellen. Die Modularisierung liefert eine Strukturierung in Form von Modulen – die Definition der Module richtet sich hierbei nach den Unternehmenszielen und den Bedürfnissen der verschiedenen Disziplinen.

Die Strukturierung des Produktes in Form eines modularen Baukastens ist also der logische erste Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen und durchgängigen Produktmodell.

Das zentrale Nervensystem von PLM

Die Produktstruktur erlaubt es, alle produktbezogenen Daten strukturiert zu verwalten. Die ursprüngliche Form ist die Stückliste, wie sie auf den Baugruppenzeichnungen der Konstrukteure zu finden ist. Mit dem Wandel in den 80er Jahren hin zu CAD Systemen entstand in diesen dann eine strukturierte Stückliste des ganzen Produktes aus Sicht des Entwicklers.

Mit der Einführung von ERP Systemen kam eine parallele strukturierte Stückliste, häufig Bill-of-Material (BoM) genannt, hinzu. Diese dient zur Unterstützung der Dispositionsprozesse für Einkauf, Logistik, Produktion und Montage.

Neben diesen physischen strukturierten Stücklisten stehen noch weitere Strukturen, z.B. der Anforderungen und der Funktionen. Diese Strukturen werden im Rahmen des Model Based System Engineering (MBSE) mit den physischen Strukturen vernetzt. Eine solche interdisziplinäre netzwerkartige Struktur ist insbesondere für zunehmend mecha- und cybertronischen Produkten mit umfangreichen Softwareanteilen notwendig.

Die Bereitstellung und Verwaltung solcher interdisziplinärer Produktstrukturen über den ganzen Produktlebenszyklus hinweg ist Aufgabe des Product Lifecycle Managements (PLM).

Modularisieren heißt Strukturieren

Der Kern eines modularen Baukastens ist die Zerlegung des Produktes in Module – also die Strukturierung des Produktes in Modulen. Häufig mit dem Ziel den Standardisierungsgrad durch wiederverwendbare Module zu erhöhen.

Neben verbesserter Wiederverwendung muss die modulare Produktarchitektur so gestaltet sein, dass sie die strategischen Ziele des Unternehmens unterstützt. Dies gilt insbesondere für mecha- und cybertronische Produkte mit einer hohen Frequenz von Änderungen und Updates.

Nur durch die Gruppierung in möglichst entkoppelten Modulen kann eine effiziente und flexible Entwicklung und schnelle Updates mit neuen Funktionalitäten sichergestellt werden.

Die Gliederung zu Modulen liefert so die Basis für eine durchgängige Produktstruktur. Diese Basis muss natürlich so gestaltet sein, dass diese kompatibel mit den Anforderungen von z.B. Einkauf und Produktion ist.

Den modularen Baukasten in der Produktstruktur verankern

Die Entwicklung eines modularen Baukastens liefert die Strukturierungsvorlage für eine durchgängige Produktstruktur als zentrales Element eines PLM. Gleichzeitig ist der Erfolg eines modularen Baukastens davon abhängig, dass die definierten Module in einer durchgängigen Produktstruktur verankert werden.

Zur Standardisierung gehört nicht nur eine vereinheitlichte technische Lösung sondern auch vereinheitlichte Stammdaten, die an der immer gleichen Stelle der Produktstruktur eingesetzt werden.

Gelingt es mir beispielsweise einen Mikrocontroller zu standardisieren und ist dieser Controller in der Produktstruktur dann aber mit einem immer varianten Kabelbaum zusammengefasst, so kann ich in großen Teilen des Produktentstehungs- und Produktionsprozesses von dieser Standardisierung nicht profitieren.

Die vereinheitlichte generische Produktstruktur ist gewissermaßen die DNA des modularen Baukastens. Bei der Entwicklung einer neuen Produktvariante wird auf dieser Struktur aufgesetzt. Es ist sichergestellt, dass sich die neue Variante in das Gesamtkonzept des modularen Baukastens einfügt.

Durchgängige und modulare Produktstrukturen – Ein Muss für Industrie 4.0

Um erfolgreich zunehmend komplexe mechatronische und cybertronische Produkte zu entwickeln sind digitale Produktmodelle auf Basis durchgängiger Produktstrukturen unumgänglich. 

Die Entwicklung in Form von modularen Baukästen ist die Konsequenz aus immer kleineren Losgrößen und kürzeren Produktlebenszyklen.

Die Modularisierung bietet so ein Strukturierungsprinzip als Basis für eine durchgängige Produktstruktur, während sie, um erfolgreich zu sein, ebenfalls auf ein durchgängiges PLM angewiesen ist.

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