Möchte ein Hersteller seine Produkte vernetzen und smarte digitale Services anbieten, stößt er irgendwann unweigerlich auf die Herausforderung, eine passende IoT-Plattform für sein Vorhaben zu wählen. Keine einfache Aufgabe, mehr als 500 kommerzielle – häufig schwer vergleichbare – Angebote gibt es. Einige Unternehmen erwägen sogar die Schaffung einer eigenen “IoT-Plattform”, um ihre sensiblen Daten zu schützen und Wettbewerbsvorteile zu sichern.
Nichtstun ist keine Option
Ein Großteil der deutschen Industrieunternehmen arbeitet bereits intensiv an smarten Produkten und ergänzenden digitalen Services wie zum Beispiel Condition Monitoring oder Predictive Maintenance. Die Chancen sind verlockend: zusätzliche Erlöse durch neue digitale Lösungen und innovative Geschäftsmodelle sowie attraktive Differenzierungsmöglichkeiten im härter werdenden Wettbewerb. Nichtstun ist keine Option: Zahlreiche neue Wettbewerber, oft mit rein digitalen Geschäftsmodellen, drängen in fast jede Branche, Wertschöpfungsketten erleben dramatische Umwälzungen, Branchengrenzen verwischen zunehmend und digitale Plattformen quetschen sich zwischen Anbieter und ihre Kunden.
Doch der Weg zum verheißungsvollen Geschäft rund um die Daten ist steinig. Zahlreiche Fallstricke lauern bei Konzeption und Umsetzung, Planungsfehler können enorme Zeitverzögerungen und Mehrkosten verursachen. Eine besonders weitreichende Entscheidung dabei ist die Auswahl einer IoT-Plattform – oder aber der Entschluss für die Eigenentwicklung einer solchen Plattform.
IoT-Plattformen vs. Plattform-Geschäftsmodelle
Zunächst einmal gilt es, im Wirrwarr der vielen Plattform-Buzzwords einen kühlen Kopf zu bewahren. Im Zusammenhang mit IoT/ Industrie 4.0 sind vor allem zwei Arten von Plattformen relevant:
- IoT-Plattformen: Modular aufgebaute Softwareprodukte, welche die Entwicklung von IoT-Lösungen enorm vereinfachen, indem sie Standardfunktionen von IoT-Angeboten wie beispielsweise Geräte- und Datenverwaltung oder Authentifizierung bereits “von der Stange” bereitstellen.
- Plattform-Geschäftsmodelle: Extrem skalierende digitale Marktplätze wie beispielsweise Uber, die zwei oder mehrere Parteien miteinander vernetzen. Ihr Erfolg hängt insbesondere von der Anzahl der Teilnehmer auf allen Seiten der Plattform (Netzwerkeffekt) sowie dem Nutzungserlebnis ab.
Auch Kombinationen sind möglich: So enthalten beispielsweise die IoT-Plattformen Axoom und Predix Marktplatzmechanismen in Form von App-Stores, in denen Softwareentwickler Anwendungen für die Nutzer dieser IoT-Plattformen bereitstellen können. Darüber hinaus wird umgangssprachlich oft auch von einer “Plattform” gesprochen, wenn ein Unternehmen seinen Kunden verschiedene IoT-Anwendungen (beispielsweise Condition Monitoring, Track & Trace oder Predictive Maintenance) in einem zentralen Online-Portal zur Verfügung stellen möchte.
Ob einfache IoT-Lösung, Plattform-Geschäftsmodell im Bereich IoT oder Online-Portal für IoT-Anwendungen – eine IoT-Plattform braucht fast jedes IoT-Vorhaben als technologische Basis.
IT-Architektur und IoT-Plattformen
Die IoT-Plattform ist gewissermaßen das “Herzstück” einer IoT-Lösung, welche die Daten der Geräte verarbeitet und den Anwendungen und Usern zur Verfügung stellt sowie deren Befehle zurück an die Geräte gibt. Aus strategischer Sicht ist eine IoT-Plattform trotz ihrer technologischen Komplexität “Commodity”, denn sie stellt im Wesentlichen Basisfunktionen zur Verfügung, die für die Differenzierung gegenüber den Kunden weniger kritisch sind.
Entscheidend aus Sicht der Nutzer bzw. Kunden einer IoT-Lösung ist vor allem deren Nutzungserlebnis, welches im Wesentlichen durch die Benutzerfreundlichkeit der Anwendungen und das darin enthaltene spezifische Prozess- bzw. Domänen-Know-how der Anbieter bestimmt wird. Im B2B-Bereich ist in vielen Fällen auch eine einfache Anbindung der Geräte, Maschinen und Anlagen im Feld an die IoT-Lösung ein wichtiger Aspekt in der Kaufentscheidung.
Moderne IoT-Plattformen bieten acht zentrale Gruppen von Funktionalitäten, welche die Entwicklung individueller IoT-Lösungen erheblich beschleunigen und vereinfachen, da sie bereits ca. 70-90 % der Lösung “von der Stange” bereitstellen:
- Edge-Funktionalitäten – direkt auf den smarten Geräten/ Gateways ausführbare Funktionalitäten, die auch offline zur Verfügung stehen
- Connectivity – Technologien, welche die Kommunikation der „Dinge“ bzw. Sensoren mit der Plattform unterstützen
- Device Management – Standard-Funktionalitäten zur Verwaltung und Konfiguration der vernetzten „Dinge“
- Data Infrastructure – Funktionalitäten und technische Möglichkeiten zur Datenspeicherung und -verwaltung
- Basic Data Tools – Standard-Werkzeuge zur Verarbeitung und Visualisierung der gesammelten Daten
- App Enablement – Entwickler-Unterstützung für die Programmierung individueller Anwendungen
- Integration – Möglichkeiten zur Anbindung der IoT-Plattform an unternehmensinterne Systeme (v.a. ERP, MES, CRM und BI) sowie externe (SaaS)-Anwendungen
- Security & Administration – Verwaltungs-Funktionalitäten und Sicherstellung von Cyber Security
Die Anbieter von IoT-Plattformen haben oft bereits Milliarden von Euro in deren Entwicklung gesteckt, insbesondere auch in die Kompatibilität mit Geräten und Systemen durch Protokolle, Schnittstellen (APIs), Software Development Kits (SDKs) und Konnektoren.
Make or buy?
Unternehmen sollten sich genau überlegen, ob es sich wirklich lohnt, eine eigene IoT-Plattform zu entwickeln. Für die allermeisten Business Cases ist es erfahrungsgemäß sinnvoller und kosteneffektiver, auf eine vorhandene IoT-Plattform-Lösung zurückzugreifen und diese den individuellen Vorstellungen anzupassen. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen Unternehmen eine eigene IoT-Plattform entwickeln, da sie sich davon Vorteile im Wettbewerb erhoffen. Was bei solch einer „Make“-Entscheidung zu beachten ist, beleuchtet unser nächster Fachbeitrag zum Thema.