Brexit in Logistics – abwarten oder aktiv werden?

Die gesamte politische Debatte um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist geprägt von Unsicherheit, neben dem ungewissen Ausgang der Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU sind die Folgen der Verhandlungsergebnisse noch unabsehbar. Dabei bleibt noch nicht einmal ein Jahr Zeit für die Entscheidungen – und dann sind sie noch lange nicht umgesetzt. Ganz aktuell warnt sogar die EU-Kommission vor einem „Brexit-Desaster“.

Was kann logistisch passieren?

Was all dies für die englische Wirtschaft, Währung und Markt bedeutet, bleibt hier erst einmal außen vor – aber selbst ohne diese Punkte zu betrachten, kann man heute schon Szenarien entwickeln, die zumindest eine Idee aufzeigen können, welche logistischen Herausforderungen der Brexit mit sich bringen könnte. Zwar steht der Finanzsektor mit angedrohten Standortverlagerungen medial seit einiger Zeit verstärkt im Fokus, für die Logistik – egal ob Dienstleister oder Hersteller – wird  der Brexit ebenfalls zu einer großen Herausforderung.

Auch wenn es logistisch noch nie wirklich einfach war, den Ärmelkanal zu überwinden, können durch den Austritt Großbritanniens aus der EU weitere Hemmnisse entstehen. Zölle, Lkw-Wartezeiten bei der Grenzabfertigung oder Behinderungen im Hafenumschlag und Bahntransport sind nur einige offensichtliche logistischen Probleme, die auftreten werden.

Schlimmstenfalls könnte der Brexit dazu führen, dass ein freier Waren- und Personenverkehr nicht nur erschwert, sondern ganz zum Erliegen kommt. Aber selbst wenn ’nur‘ anfangs – bedingt durch Unsicherheiten – in Randbereichen Verzögerungen entstehen, kann dies große Auswirkungen auf die logistische Lieferkette haben.

Ein relativ einfacher Punkt scheinen auf den ersten Blick zu erwartende Zölle zu sein: Zollabwicklung ist heute standardisiert, es gilt also nur die neuen Zolltarife einzuspielen. Gerade in der ersten Zeit neuer Handelsbeziehungen kann es aber auch hier zu vielen Ungereimtheiten kommen – und schon bleibt der LKW mit den dringend benötigten oder verderblichen Gütern stehen.

Eine „einfache“ wie naheliegende Vermeidungsstrategie besteht in der Einrichtung neuer Läger, auf beiden Seiten des Kanals, um das Wegbrechen ganzer Märkte zu verhindern. Die ersten Unternehmen bereiten sich bereits vor, so gibt es in der letzten Zeit vermehrt Anfragen kontinentaleuropäischer Unternehmen zu Standortfragen in Großbritannien. Aber auch umgekehrt bereiten sich britische Unternehmen durch die Suche und den Aufbau von Standorten und Strukturen außerhalb von Großbritannien auf den Brexit vor. Dies ist ein nachvollziehbarer Schritt, der jedoch manchmal nicht ausreicht und zu deutlich höheren Kosten führen wird. Insofern bedarf es vielfach einer weitaus komplexeren Analyse und kosteneffizienteren Antwort auf die Folgen des Brexits.

Wie vorbereiten?

Die Analyse der Frage bzgl. der Folgen des Brexits für Ihr Unternehmen beginnt mit der einfachen Frage: Was kann der Brexit für mein Unternehmen und meine Supply Chain bedeuten? Hier gilt es nicht nur, den Absatzmarkt Großbritannien zu betrachten, sondern auch die Lieferanten – und deren Lieferanten. Wissen Sie, welche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Sie aus Großbritannien beziehen? Was passiert, wenn hier keine Lieferungen mehr eintreffen, oder mit 1, 2, vielleicht vier Wochen Verzögerung? Entwickeln Sie Ihr Worst Case Szenario und prüfen Sie mögliche Risiken und Beeinträchtigungen in Ihrer Supply Chain, und zwar der gesamten Supply Chain. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit zu prognostizieren wäre zwar wünschenswert, dies scheint aber zur Zeit schlecht möglich.

Lösungen

Auf der Inbound-Seite gilt es, Redundanzen aufzubauen, Lieferanten zu finden, die in der Lage sind, auch ohne Produktionsstätten in Großbritannien lieferfähig zu sein und zu bleiben. Hier sollte man – gerade bei kritischen (Vor-)Produkten genauer hinschauen, vielleicht sind Sie nicht der einzige Kunde, der eine solche Idee hat? Obwohl schon lange vom ‚Single Sourcing‘ abgeraten wird – was nutzt es, wenn mehrere Ihrer Hauptzulieferer ausschließlich auf Vorprodukte aus Großbritannien angewiesen sind? Deshalb: Analysieren Sie Ihre Zuliefererkette! Für die wichtigsten Artikel scheint das einfach. Gerade bei C-Artikeln kann dies aufwendig werden, aber nicht weniger wichtig, hier lohnt ein genauerer Blick.

Absatzmarkt Großbritannien

Sollte Großbritannien für Sie ein wichtiger Absatzmarkt sein, gilt es, zu prüfen, welche Maßnahmen Sie zur Sicherstellung der Versorgung Ihrer Kunden heute schon treffen können. Dabei reichen allerdings einfache Verträge mit Distributoren längst nicht aus, denn nicht die Distribution ist der Knackpunkt, sondern der kontinuierliche Nachschub der Waren nach Großbritannien – auch in einem zu erwartenden ‚chaotischen Zeitraum‘, der von einer Übergangszeit und neuen Regularien geprägt sein wird. Einige unserer Kunden reagieren derzeit bereits mit einer Reorganisation Ihres europäischen Logistik-Set Ups – aber ist dies die wirklich optimale Lösung und wenn ja, für welche Sortimente und Kunden?

Abwarten oder aktiv werden?

‚Nichts Genaues weiß man nicht‘ – zur Zeit gibt es keinen Ratschlag, der eine Lösung garantiert. Noch aber ist Zeit, verschiedene Szenarien zu entwerfen, zu prüfen und Lösungen zeitgerecht zu evaluieren und Maßnahmen in die Wege zu leiten. Konkrete Schritte umzusetzen muss nicht unbedingt notwendig sein, zumindest sollte man aber aktiv werden, um beim Eintreten verschiedener Szenarien entsprechende Pläne zu haben und diese umsetzen zu können – um im Fall der Fälle handlungsfähig zu bleiben. Alternativ gilt noch immer: Eine Strategie des robusten ersten Schrittes kann nicht falsch sein – Nichts tun aber schon!

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