In Kritischen Infrastrukturen ist Meldepflicht Selbstschutz

Die gesetzliche Pflicht, Störungen in den Netzwerken kritischer Infrastrukturen zu melden, wird oft als bürokratischer Aufwand wahrgenommen. Der vorgeschriebene Informationsaustausch zwischen kritischen Infrastrukturen und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) birgt ohne Zweifel Aufwände und Unklarheiten. Jedoch überwiegt der Mehrwert, der sich aus der Schwarmintelligenz ergibt. Je mehr Akteure über Gefährdungen berichten, desto mehr Akteure können sich gegen diese auch aktiv vorbereiten, bevor Störungen entstehen. So wird Meldepflicht zum Selbstschutz.

Der Mehrwert kann jedoch nur entstehen, wenn über den Tellerrand der gängigen Monitoring- und Sicherheitssysteme geschaut wird. Genau hier setzt das Prinzip des Defense-In-Depth an, das die gängigen Lösungen (Firewalls, Virenscanner etc.), die mittlerweile als Standard in jeder Kritischen Infrastruktur angenommen werden können, um Abwehrmechanismen erweitert, die auch das Unbekannte sichtbar machen.

Dass bislang unbekannte Angriffs- und Störungsmuster in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Gefährdungslage spielen, zeigten nicht zuletzt die mehrstufigen, lange Zeit verborgen agierenden Kampagnen Industroyer und Dragonfly 2.0. Während mit Dragonfly 2.0 Angreifer über Monate bis Jahre Kritische Infrastrukturen auch in Deutschland ausspioniert haben, legte Industroyer 2016 die Stromversorgung Kiews für mehrere Stunden lahm.

Auf der Suche nach dem Unbekannten

Genau hier liegt auch die größte Unklarheit für die Informationssicherheitsbeauftragten in kritischen Infrastrukturen. Das IT-Sicherheitsgesetz (und damit das EnBW, AtG und BSIG) fordert eine Meldung von »erheblichen Störungen der Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit ihrer informationstechnischen Systeme, Komponenten oder Prozesse, die zu einem Ausfall oder einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der von ihnen betriebenen Kritischen Infrastrukturen führen können oder geführt haben.«

Die Formulierung birgt zwei Unschärfen, mit denen Betreiber zu kämpfen haben:

  1. Wie sollen Störungen erkannt werden, die erst langfristig zu einer Beeinträchtigung führen könnten, zum Beispiel Advanced Persistent Threats?
  2. Wie kann bewertet werden, ob die Beeinträchtigungen durch eine Störung erheblich sein könnten?

Auf der FAQ-Seite des BSI findet sich zur ersten Frage lediglich der Hinweis: »Werden Angriffe auf die Kritische Infrastruktur unter Verwendung von neuartigen, außergewöhnlichen, zielgerichteten oder aus technischer Sicht bemerkenswerten Angriffsverfahren entdeckt, muss davon ausgegangen werden, dass eine Einwirkung auf die Kritische Infrastruktur möglich ist, sobald sich die Angreifer dazu entschließen«.

Auch bei der Frage, was »erheblich« bedeutet, sind Informationssicherheitsbeauftragte weitestgehend auf sich gestellt: »Eine eindeutige, umfassend geltende Antwort, wann eine Störung erheblich ist, ist nicht möglich. Stattdessen ist es erforderlich, dass die Verantwortlichen in KRITIS-Unternehmen Einzelfallentscheidungen treffen«.

Aus unseren Erfahrungen des Monitorings von Leitsystemen und Netzleittechnik mittels industrieller Anomalieerkennung wissen wir, dass weder versteckte Angriffe noch offene Sicherheitslücken eindeutig erkannt und eingeschätzt werden. Hinzu kommt, dass die Entwicklungen der Digitalisierung und des Smart Grid zu immer komplexeren Kommunikationsstrukturen führen, die neben Sicherheitsgefährdungen auch die Wahrscheinlichkeit technischer Fehlerzustände erhöhen.

Wer entscheiden will, muss sehen können

Betreiber benötigen somit Werkzeuge, die zwei Dinge ermöglichen:

  1. Vorgänge erkennen, die durch gängige Sicherheitslösungen mit Blacklisting- oder Whitelistingansatz übersehen werden.
  2. Vorgänge dahingehend bewerten, ob diese (erhebliche) Beeinträchtigungen hervorrufen könnten.

Netzleittechnik und Leitsysteme sind von einer deterministischen Kommunikationsstruktur geprägt. Dadurch können zum Beispiel mit einer industriellen Anomalieerkennung alle Vorgänge erkannt werden, die in irgendeiner Form vom deterministischen Grundmuster abweichen. Ein gutes Monitoringsystem erkennt bei den sicherheitsrelevanten Vorfällen u.a. neue:

  • Netzteilnehmer oder Kommunikationsbeziehungen;
  • Verbindungen zum Internet;
  • Protokolle;
  • Befehlsstrukturen sowie Netzwerkscans.

Hinzu kommen sowohl bestehende CVE-Sicherheitslücken an Geräten und Software, als auch Netzstörungen, die keine IT-Sicherheitsvorfälle sind, aber an das BSI gemeldet werden müssen. Zu letzteren gehören Konfigurations- und Kommunikationsfehler sowie andere technische Fehlerzustände, die sich beispielsweise aus der Abnahme der Netzwerkqualität ergeben. Gefährdungen jeglicher Form werden somit in ihrem frühesten Stadium erkannt und in Echtzeit gemeldet.

Die Bewertung der Vorfälle wird durch die industrielle Anomalieerkennung über verschiedene Stufen ermöglicht. Zum einen wird jede Meldung in Sicherheit oder Netzwerkqualität kategorisiert. Des Weiteren erhält jede Meldung eine Risikobewertung in Abhängigkeit von Kommunikationsvorgang und betroffenen Komponenten. Schlussendlich wird jede Meldung inklusive der Rohdaten als frei exportierbares PCAP gespeichert. Somit ist eine umgehende forensische Analyse auf einer vollständigen, nachvollziehbaren Datenlage für alle Stakeholder möglich. Informationssicherheitsbeauftragte können damit auf jede potentielle Gefährdung reagieren, bevor es zur Beeinträchtigung kommt.

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