„Der Schatz im Silbersee“ gehört zu den bekanntesten Werken des Abenteuerschriftstellers Karl May, der es bekanntlich mit der Fabulierkunst manchmal übertrieb und es mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau nahm. Für Unternehmen dürfte in Zukunft der Datensee den wichtigsten Schatz darstellen. Denn in dem Datensee, den die Sensoren und Geräte aus dem Internet der Dinge speisen, liegen die Informationen, aus denen Firmen die wichtigen Handlungsempfehlungen ableiten können. In diesem See zu fischen, dürfte deshalb in Zukunft eine der zentralen Unternehmensaufgaben sein.
Anders als beim Fabulierer Karl May liegt also im Datensee die Wahrheit, erklärten Jim Heppelmann, Chef des gastgebenden Unternehmens PTC, und Professor Michael Porter von der Harvard Business School. Mit dem „Data Lake“ ist eine neue Art von Datenbank gemeint, in die praktisch alle Informationen einfließen, die die sogenannten „Smart Connected Products“ (intelligente vernetzte Produkte) der Zukunft erzeugen. Als Beispiel für ein solches Produkt wurde in Boston ein Mountain-Bike des US-Herstellers Santa Cruz gezeigt, das mit einer Reihe von Sensoren und einer Raspberry-Pi-Plattform ausgestattet wurde.
An so einem Sportgerät könne man zum Beispiel Daten wie die Umdrehungsgeschwindigkeit der Räder messen, die Kraft, die auf die Pedale einwirkt, oder aber auch die Beschleunigungswerte an der Federung. Die so gewonnenen Daten könnten dann dazu nutzen, um sie wiederum in das Konstruktionsprogramm einzuspielen – etwa um angenommene Werte mit den in der Realität gemessenen Daten zu vergleichen.
Da die Wurzeln des gastgebenden Unternehmens PTC in 3-D-Konstruktionswerkzeugen liegen, zeigte Heppelmann, wie die Daten direkt im CAD-Werkzeug Creo verarbeitet werden, um Soll- und Istdaten des Produkts miteinander abzugleichen. Mit Hilfe von Augmented-Reality-Technik können diese Daten zudem auf einem Tablet eingespielt werden. Dies unterstützt Service-Mitarbeiter, die das Produkt warten oder reparieren müssen.
Im Rahmen seiner einführenden Ansprache gab PTC-Chef Jim Heppelmann die Akquisition des IT-Unternehmens Coldlight bekannt. Coldlight hat mit der Analysetechnik Neuron ein Verfahren entwickelt, das einen Datenstrom in Echtzeit nicht nur auswertet, sondern das auch dank selbstlernender Verfahren Prognosemodelle entwickle. Auf diese Weise sei es möglich, aus den Daten konkrete Handlungsempfehlungen für geschäftliche Entscheidungen zu generieren.
Eine solche Technik sei nötig, um mit den Anforderungen der Zukunft Schritt zu halten, sagte Professor Michael Porter. „Der Kern der intelligenten vernetzten Produkte der Zukunft sind die Daten“, daran ließ der Professor keinen Zweifel. Laut Porter werden bald in vielen Unternehmen sogenannte Chief Data Officers (CDO) Einzug halten, zu deren Aufgabe es gehöre, die gesamten Informationen zu aggregieren. Den CDOs obliegt es also, die Datenseen anzulegen und sie zu pflegen.
Das Neue an der Technik ist, dass diese sogenannten Datenseen aus unstrukturierten und nicht normalisierten Daten bestehen, die in keiner Weise aufbereitet seien. Gerade die Rohdaten würden dazu genutzt, die Prognosemodelle zu erstellen. Das sei wichtig, um zum Beispiel die Informationen aus dem realen Leben in den Produkt-Entwicklungszyklus zurückzuspielen. Für Porter ist nämlich die Produktentwicklung der Zukunft kein abgeschlossener, sondern ein kontinuierlicher Prozess – das sogenannte „Evergreen Design“, das nicht einfach ein Produkt-Release, sondern die ständige Weiterentwicklung zum Ziel habe.
Die mit Coldlight erworbene Datenanalyse-Technik wird voraussichtlich mit der Internet-of-Things-Plattform ThingWorx, die PTC im vergangenen Jahr übernahm, zusammengeführt werden. ThingWorx ist gleichzeitig IoT-Middleware und Applikationsbaukasten: Das Werkzeug erlaubt es, vergleichsweise schnell Applikationen zu erstellen, die die aus dem Internet der Dinge generierten Daten visualisieren und auch auswerten. Kurier- oder Lieferdienste können auf diese Weise zum Beispiel ihre Routenführung optimieren. Coldlight erweitert das Spektrum, indem es in der Lage ist, Ströme unstrukturierter Daten quasi in Echtzeit zu analysieren.
Ein weiterer Anwendungsfall für die Technik ist die Vorhersage von Störungen im laufenden Betrieb, etwa bei Industrieanlagen oder Kraftwerken, und die Einleitung von Gegenmaßnahmen. Durch die Prognosemodelle könnten etwa starre Wartungszyklen an den tatsächlichen Einsatz der Anlagen angepasst werden. Das spart potenziell Geld, stellt aber vor allem die Anlagenverfügbarkeit sicher.
Die „Lennon und McCartney“ des IoT
Porter und PTC-Chef Jim Heppelmann hatten im vergangenen Jahr einen viel beachteten visionären Artikel über die Zukunft des Internets der Dinge in der Zeitschrift „Harvard Business Review“ veröffentlicht. Der Industrieanalyst William K. Pollock des Beratungsunternehmens „Strategies for Growth“ bezeichnete die beiden deshalb in einem Tweet als die „Lennon und McCartney“ des Internets der Dinge – in Anlehnung an die kreativen Köpfe und Vordenker der legendären Beatles.
Heppelmann kündigte weiter an, dass sich sein Unternehmen verstärkt dem Aspekt der Datensicherheit widmen werde. Heutige Datencenter seien gegenüber Hacker-Angriffen nicht unbedingt sicherer, als sie es vor zehn Jahren waren, gab er zu. „Die Herausforderung ist da, und dieser Herausforderung werden wir uns stellen“, sagte er.
An der LiveWorx-Konferenz, die gestern in Boston/Massachusetts begann, nehmen 2300 Entwickler, Führungskräfte, Marktbeobachter und Analysten teil. Damit ist die LiveWorx die vermutlich größte, aber sicher die am schnellsten wachsende Fachtagung zum Thema Internet der Dinge: Im vergangenen Jahr hatten sich noch 350 Teilnehmer für die LiveWorx registriert.
´ „The Woz“ hat noch keine Apple Watch bestellt
Stargast des ersten Konferenztages war Apple-Mitbegründer Steve Wozniak. Er zeichnete drei Entwicklerteams aus, die am vorausgegangenen Wochenende in einem Hackathon-Wettbewerb Lösungen aus dem Bereich des Internets der Dinge programmiert hatten, Das siegreiche Team hatte sich mit einem System beschäftigt, das die Barrierefreiheit von Verkehrszeichen zum Ziel hat.
Wozniak, der zuvor ein wenig aus seinem Leben geplaudert hatte, gab übrigens an, sich noch keine Apple Watch bestellt zu haben. Er werde das zwar auf jeden Fall noch tun, sein Enthusiasmus gegenüber der Datenuhr hielt sich aber in Grenzen. Denn er zweifelte, ob eine Smartwatch sein Leben genauso erleichtern könne wie ein Smartphone. Eine Smartwatch könne zwar potenziell dasselbe tun wie ein Smartphone, sie sei aber durch die Größe ihres Displays limitiert.