Plug and Play dank OPC UA

Interview: Heike Henzmann Fotos: Holger Jacob
Es geht weiter am Rhein entlang vom Rheinfall bis zum Firmensitz der Schweizer Sensor People von Leuze electronic und mit dem Gespräch mit Geschäftsführer Tobias Wüst über Sensoren und OPC UA.
Leuze electronic setzt bei der Umsetzung von Industrie 4.0 auf OPC UA. Können Sie dieses Thema umreissen?
OPC UA steht für Open Platform Communications Unified Architectures. Es umfasst einen Satz von Standards für die industrielle Kommunikation und wird von der Initiative Deutschland Digital (IDD) für die Digitale Transformation, Industrie 4.0, unterstützt. Es gibt in verschiedenen Ländern regionale Initia­tiven, die sich mit der Digitalen Trans­for­ma­tion beschäftigen. Hier in der Schweiz ist das Industrie 2025, in den USA IIC, also Industrial Internet Consortium, in China ist es China 2025. Auch diese Initiativen stützen sich auf OPC UA als Kommunikationstechnologie ab.

Welche Lücke schliesst OPC UA?
Wenn man sich die Automatisierungs­pyramide anschaut, so sieht man ganz unten die Feldebene, darüber die Steuerungsebene. Weiter oben finden sich die Prozessebene, die Leitebene und auch die ERP- und Unternehmens­ebene. Via Profinet oder I/O-Link findet ein Datenaustausch nur zwischen der Feld­ebene und der Steuerungsebene statt. Für Industrie 4.0 reicht dies nicht aus. Daten müssen auch ausserhalb der Maschinensteuerung, beispielsweise in der Leitebene oder im ERP, zur Verfügung stehen. Hier kommt OPC UA ins Spiel. Mit OPC UA wird ein Datentunnel über alle Schichten der Automatisierungspyramide geschaffen. Hierfür wird in der Datenquelle, in unserem Fall also dem Sensor, ein OPC-UA-Server integriert, durch den Daten an Abnehmer in allen Ebenen geliefert werden können. Beim Prototyp, den Leuze electronic in einer Kooperation mit Microsoft entwickelte, wurde zusätzlich ein IoT-Hub für die Azure Cloud von Microsoft installiert. Einmal in der Cloud, können die Daten für die unter­schiedlichsten Applikationen ohne lokale Bindung verwendet werden.

Wie sehen die technischen Voraus­setzungen für diese Kommunikation eines Sensors mit der Cloud aus?
Der Sensor muss in der Lage sein, über einen Ethernet-basierten Bus zu kommu­ni­zieren. Dafür braucht er eine entsprechende Kommunikationsschnittstelle, wie z. B. Profinet. Doch auch über die serielle Schnittstelle I/O-Link ist eine komplexere Kommunikation des Sensors möglich. In diesem Fall werden die Sensor­daten auf ein Ethernet-fähiges Gateway geführt und gehen von dort aus in die Cloud.

Warum wurde für diese Prototypen die Microsoft Azure Cloud ausgewählt?
Aus der Historie heraus ist die Azure Cloud sehr mächtig hinsichtlich der Werkzeuge, die in der Cloud zur Ver­fügung stehen, um Daten zu analysieren. Denn schlussendlich geht es ja genau darum: Die Daten sollen in der Cloud analysiert werden. Die Analyse eröffnet die Möglichkeit, verschiedenste Appli­kationen zu implementieren. Die Azure Cloud ist vergleichbar mit der SAP Cloud oder der IBM Cloud. Und auch wenn wir uns derzeit noch auf die Azure Cloud konzentrieren, wäre es kein Hexenwerk, statt dem Azure-Hub einen SAP-Hub oder einen IBM-Hub zu verwenden, denn alle sind für uns über OPC UA zugängig.

Wird Leuze electronic Applikationen für die Sensordaten anbieten?
Das ist so angedacht. Stehen die Datenmengen erst einmal zur Verfügung, kann man darauf basierend viele neue Geschäfts­modelle generieren. Das gilt sowohl für die Maschinenbauer als auch für uns. Es gibt dabei Leistungen, die nur wir anbieten können. Man stelle sich eine Anwendung für predictive Maintenance vor. Ein Sensor liefert komplexe Daten, und diese müssen ausgewertet werden. Kann der Maschinen­bauer aus den Daten den Zeitpunkt der nicht mehr tolerierbaren Sensorverschmutzung zuverlässig ermitteln? Wir sind der Meinung, dass wir für solche Aufgaben am besten geeignet sind. Denn wir kennen unseren Sensor wie kein anderer. Viele unserer Sensoren sind mit einem Temperatur­fühler ausgerüstet. Es ist nicht trivial, die verschiedenen zusätzlichen Informa­tionen, die dieser Fühler liefert, korrekt und nutzbringend auszuwerten. Ausserdem gibt es folgende Situation: Nehmen wir an, der Maschinenhersteller hat einen Kunden, der mehrere Werke betreibt. Es ist unwahrscheinlich, dass der Maschinenhersteller mit seinen Maschinen in allen Werken vertreten ist. Es ist jedoch viel wahrscheinlicher, dass unsere Sen­soren in allen Werken zu finden sind. Damit können wir uns auf eine viel breitere Datenbasis abstützen.

Aber dann stellt sich die Frage, wem die Daten gehören: Ihnen als Sensor­her­steller oder dem Maschinenhersteller? Oder dem Betreiber der Anlage?
Die Daten gehören dem Betreiber. Unser Ziel ist natürlich schon, den Zugang zu diesen Daten zu erhalten, um daraus neue Geschäftsmodelle zu generieren. Wie das genau geregelt wird, ist noch Zukunftsmusik. Nur ein Beispiel: Früher wurden für die Verkehrsnachrichten eher mühsam einzelne Informationen zu Ereignissen wie Staus über Anrufe von Verkehrsteilnehmern gesammelt. Heute hat man das Handy in der Tasche und erhält dank der von Google Maps erho­benen und verdichteten Daten einen sehr guten Überblick, wo es Probleme mit dem Verkehrs­fluss auf den Strassen gibt. Mit OPC UA sind wir aber noch nicht so weit. Wir bauen erst gerade die Strassen und schauen, wie sich das Ganze entwickelt.

Engagiert sich Leuze electronic bei der Weiter­entwicklung des Standards in den entsprechenden Gremien?
Ja, wir haben jemanden, der sich ausschliesslich mit Industrie 4.0 beschäftigt und in dem Gremium mitarbeitet. Bei OPC UA, I/O-Link und anderen Gremien in diesem Bereich sind wir vertreten.

Gibt es in der Schweiz schon den ersten Kunden für den OPC-UA-Azure-Hub?
Die Einführung solch neuer Technologien dauert erfahrungsgemäss ein Weilchen. Bei I/O-Link hat es ebenfalls relativ lange gedauert, bis man ein erstes Gerät mit I/O-Link verkauft hat. Die Branchenplayer müssen sich erst mal auf das Thema einschiessen und den Nutzen erkennen. Wir haben den Azure-Hub letztes Jahr auf der SPS IPC Drives vorgestellt. Die Schwierigkeit bei OPC UA ist im Moment noch, den Nutzen für den Kunden her­auszuarbeiten. Um bei der Analogie mit den Strassen zu bleiben: Es gibt eine Strasse hier und eine Strasse dort, aber dazwischen gibt es noch nichts. Bis das Strassennetz vorhanden ist, braucht es noch seine Zeit.

Hat der Werk- und Marktplatz Schweiz derzeit andere Sorgen?
Die Schweizer Industrie steht im Moment unter einem enormen Kostendruck. Man kann Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung realisieren, aber es wird dennoch weitere Verlagerungen von Produktionen ins Ausland geben. Laut einer Statistik von Swissmem ziehen 46 Prozent der Unternehmen der MEM-­Branche eine Auslagerung der Produktion in den nächsten drei Jahren in Betracht. Doch die Entwicklung lagert niemand aus. Nach wie vor ist die Schweiz als Ent­wicklungs- und Innova­tionsstandort sehr interessant. Das bedeutet, dass die Entwickler in ihren Applikationen weiterhin Ansprechpartner brauchen. Da muss genau überlegt werden, wie ein gemeinsames Geschäftsmodell gestaltet werden kann. Denn wenn die Beratung hier stattfindet, die Bestellungen aber im Land der Produktion erfolgen, dann schafft dies eine unangenehme Verlagerung. Ein System, mit dem man dies abbilden kann, wird daher immer wichtiger. Auch wir arbeiten derzeit daran. Insbesondere für kleine Unter­nehmen ist es allerdings eine grosse Herausforderung, dies zu tun.

Muss man künftig Beratung stärker in Rechnung stellen?
Das wird so sein. Wir bieten Leistungen an, durch die der Kunde einen Mehrwert erhält und für die er bereit ist zu zahlen. Ich bin der Meinung, dass künftig mehr solcher Dienstleistungen in der Schweiz angeboten werden müssen. Gerade weil die internen Verrechnungen ziemlich kompliziert sind. Wir werden gut unterstützt vom Mutterhaus und haben im Unternehmen einen konstruktiven Umgang mit der Thematik. Es gibt grosses Verständnis für unsere Situation in der Schweiz. Klar ist auch, dass der Schweizer Standort auf jeden Fall bestehen bleiben wird. Der Schweizer will von Schweizern bedient werden. Das weiss man auch im Mutterhaus, und das wird akzeptiert. Wir werden aber immer kleinere Brötchen backen als die Kollegen in Deutschland, das ist einfach marktbedingt.

Welche Möglichkeiten gibt es, im Sonder­maschinenbau einen Mehrwert zu generieren?
Im Sondermaschinenbau ist es wichtig, dass sich eine gewisse Standardisierung entwickelt. Das heisst, die Maschinen werden in unterschiedliche Module unterteilt, die dann einzeln an ihre Kunden­-bedürfnisse angepasst werden können. Durch diese Technik kann ein gewisser Standard geschaffen werden, und man ist trotzdem flexibel. Die Applikationen der Sondermaschinenhersteller sind komplex und sehr spezifisch. Wir können dort mit unserem Industry Management und dem gesammelten Know-how unterstützen. Ein Mehrwert entsteht dann, wenn wir entweder eine neue Lösung oder mehrere alternative Lösungen anbieten, die zu einem besseren Ergebnis führen. Das bezieht sich auf wirtschaft­liche wie auch technische Aspekte. Als Beispiel: Praktisch alle unsere neuen Sensoren haben eine I/O-Link-Schnittstelle, darüber lassen sich Schaltpunkte bei einer For­matumstellung sehr kom­fortabel über die Steuerung einstellen, und es braucht keine manuelle Einstellung mehr. Das ist wirtschaftlicher und effizienter.

Spielt Datenfusion eine Rolle bei Ihren Sensoren?
Bei schaltenden Sensoren eher nicht. Bei komplexen Geräten wie einem Barcode­leser oder einem Distanzmesser ist das schon möglich. Auf diesen Sen­soren steht eine gewisse Rechenleistung zur Verfügung. In unseren Barcode-­Scannern mit Ethernet-basierten BUS ist ein Switch integriert, damit können mehrere Barcode-Scanner zu einem virtuellen Scanner verknüpft werden. Die gelesenen Daten werden dann direkt im Master gesammelt und nur durch ein Gerät ausgegeben.

Ist man bei der Implementierung abhängig von den unterschiedlichen Steuerungsherstellern?
Es gibt verschiedene Kommunikationsschnittstellen. Die muss man als Sensor­hersteller anbieten können, da wir noch in einer Abhängigkeit zu den System­herstellern stehen. Mit OPC UA eröffnen sich diesbezüglich aber neue Möglich­keiten. Die Steuerung an sich wird zwar nicht überflüssig werden, aber es wird sich diesbezüglich einiges verändern. Beispielsweise ist denkbar, dass die Steuerung in der Cloud angesiedelt ist und dieses Modell eventuell Steue­rungen, wie man sie heute kennt, ablöst. Eventuell geht die Tendenz auch hin zu vielen kleinere Steuerungen, die in der Anlage verteilt sind.

Plug and Play Automation. Wird das möglich durch OPC UA?
Der Trend geht schon dorthin. Die Infrastruktur heute ist noch nicht dazu in der Lage. Wie bei anderen Themen ist der Consumer-Markt auch hier der Industrie um einiges voraus. Wir haben dort bereits Sensoren, die mit Plug and Play funk­tionieren. Das wird künftig durchaus auch für komplexere Systeme möglich sein. Wenn sich alle auf ein Protokoll geeinigt haben, dann ist schon ein grosser Schritt in die richtige Richtung getan. Und OPC UA hat hier sehr grosse Chancen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wüst!