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Zukunftssicheres Supply Chain Management durch Prognosen – Agiles Management ist gefragt

Im ersten und zweiten Teil dieser Artikelreihe hat sich gezeigt, dass Prognosemodelle auf Vergangenheitsdaten in Kombination mit der Expertise des Menschen in vielen Bereichen eine wertvolle Strategie zur Bewältigung täglicher Planungsherausforderungen sind. So erkennen beispielsweise intelligente Algorithmen den Zusammenhang verschiedener Variablen, die ein Absatzmuster für Produkte bestimmen. Auf dieser Basis können verlässliche Prognosen über das zukünftige Kundenverhalten getroffen werden.

Jedoch begegnen uns in unserem Unternehmensalltag immer wieder sogenannte „Disruptions“: Störungen, die Organisationen und ihre etablierten Prozesse massiv einschränken oder gänzlich aushebeln. Das können Lieferausfälle sein, die durch einen Hafenstreik hervorgerufen werden, oder auch neue Gesetzesschranken sowie Naturkatastrophen. Allerdings sind es maßgeblich sogenannte „Micro-Disruptions“, also viel „kleinere“ Störungen die Auswirkungen auf unser tägliches Agieren haben und nicht vernachlässigt werden dürfen. Beispiele hierfür sind einfache Falschlieferungen oder auch das fehlende Teil im Lager, das bei einem Servicelevel von 99% das eine Prozent ausmacht.

In solchen Situationen sollte das Ziel von Planungsverantwortlichen nun nicht darin bestehen, schlichtweg unvorhersehbare Störungen in der „chaotischen Zukunft“ dennoch mittels Prognosen vorhersehen zu wollen, sondern vielmehr auf Strategien zu setzen, die uns im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen lassen.

Agilität in komplexen Umgebungen

Über das Evaluieren logischer Zusammenhänge aus vergangenen Situationen und dem Einsatz intelligenter Prognosealgorithmen hinaus, gilt es außerdem, eine fundierte Managementstrategie zu verfolgen, die es möglich macht, im Falle einer eintretenden Störung die richtige Entscheidung zu treffen. Agiles Management ist das, was über die Endlichkeit von Prognosemodellen hinaus für optimale Prozesse in einer unvorhersehbaren Umwelt sorgt.

Das bedeutet, dass dort, wo der Blick in die Zukunft schier unmöglich ist, Verantwortliche dahingehend unterstützt werden müssen, dass sie in der konkreten Krisensituation agil handeln und die optimale Entscheidung treffen können.

Solch eine Situation kann eine alltägliche sein: eine Verspätung des Lieferanten, ein Maschinenausfall oder ein fehlendes Teil im Lager. Wenn durch eine solche Störung nicht an den Kunden geliefert werden kann und das Unternehmen Wirtschaftlichkeit einbüßt, dann entspringt dies dem Zustand fehlender Alternativlösungen. Für eine schnelle Anpassung der Prozesse muss auf ein agiles Management, das „Plan-B-Lösungen“ inkludiert, umgestellt werden.

Für den Schritt hin zu einem agilen Management gilt es, folgende Ansätze zu befolgen:

  • Alternativen im Sinne eines Risikomanagements aufbauen

Im Rahmen eines Risk Managements müssen Unternehmen ein Portfolio an Alternativlösungen aufbauen. Zum Beispiel bedeutet dies, Lieferanten aufzubauen, die im Notfall herangezogen werden können.

  • Die optimale Alternative herausfinden

Aus einem Pool von „Plan-B-Möglichkeiten“ pickt ein agiles Optimierungssystem im Ernstfall die effizienteste Lösung heraus und transformiert die Planung auf Basis von Echtzeitdaten sowie unter Anwendung von intelligenten Algorithmen.

  • Strategische Überlegungen nach Optimierungskriterien treffen

Im Sinne strategischer Planung müssen altbewährte Konzepte, zum Beispiel für die Beschaffung, in Frage gestellt werden. Der Netzwerkgedanke und individualisierte Prozesse sollten Anklang finden.

Ein Beispiel aus dem Bereich Ersatzteile: Eine Reklamation trifft beim Ersatzteillieferanten ein und der Kunde fordert sofort Ersatz. Leider hat das Unternehmen aber ausgerechnet diesen Artikel aktuell nicht vorrätig. Eine Methode, diese Situation schon im Vorhinein zu umgehen, hätte der Aufbau eines hohen Sicherheitsbestands sein können. Das bindet jedoch Kapital und ist nicht im wirtschaftlichen Sinne des Unternehmens. Einen hohen Servicegrad ohne zu viel Bestand könnte ein Prognosemodell erreichen, indem es die Vergangenheitswerte betrachtet und Wahrscheinlichkeiten über die zukünftige Nachfrage gibt. Dennoch ist in diesem Moment die Not groß. Um den Kunden nicht zu verärgern, muss nun schnell die richtige Maßnahme ergriffen werden. In diesem Sinne könnte eine so genannte „Ersatzverweis“- Strategie genutzt werden. Dabei wird das fehlende Teil entweder von einem anderen, nahe am Kunden gelegenen Standort aus beschafft und geliefert. Alternativ ordnet das Unternehmen einen Expressversand an, oder aber ein alternatives Teil von höherer Qualität wird ausgeliefert, das denselben Zweck erfüllt. In diesem Fall nun die richtige Alternative zu finden, dabei unterstützen Algorithmen. Denn möglicherweise ist die Lieferung des teureren Teils günstiger als ein Expressversand. Eine Einzelfallentscheidung wäre hier noch keine enorme Herausforderung. Ein Industrieunternehmen kämpft jedoch mit einer Vielzahl solcher Entscheidungen tagtäglich. Unterstützung in Form von intelligenter Software wird unabdingbar.

Fazit

Der Wunsch, die Zukunft vorherzusehen, liegt in unserer Natur. In Industrie und Handel können präzise Prognosen über zukünftige Bedarfe und Frühwarnsysteme die Prozesse enorm effizienter machen. Zwei parallele Strategien müssen hierzu realisiert werden: Es müssen Prognosemodelle etabliert und ein agiles Management implementiert werden, um intelligente Entscheidungen treffen zu können. Herausforderungen sowohl der planbaren als auch einer unvorhersehbaren Zukunft sind mit dieser Kombination beherrschbar. Im Zuge dessen wird die Lieferfähigkeit und Performance konstant hochgehalten und negative Ausmaße einer Disruption minimiert – komme, was wolle.

Zukunftssicheres Supply Chain Management durch Prognosen – Verlässliche Daten sind ein Muss!

Im letzten Teil der Artikelreihe haben wir festgestellt, dass Situationen, die häufig oder regelmäßig auftreten, eine gute Grundlage für die Berechnung von Prognosen sind. Im Bereich Disposition beispielsweise kann eine Verkaufshistorie mithilfe des richtigen Prognoseverfahrens Aufschluss über die kommenden Bedarfe geben. Im Ergebnis optimiert dies auch die Beschaffungsprozesse und verbessert den Lieferservice. Doch woher erhalten wir überhaupt erst die Gewissheit, dass die uns vorliegenden Vergangenheitswerte korrekt sind?

Logische Korrelationen in der Ehe und im Supermarkt

Noch bevor eine Prognose auf Vergangenheitswerten erstellt werden kann, muss auch die Datengrundlage korrekt sein. Das bedeutet, um das Absatzverhalten richtig zu deuten und darauf die Planung verlässlich zu stützen, muss nicht nur die Verkaufszahl vorliegen, sondern auch die Frage beantwortet werden, warum ein Produkt in dieser Menge zu diesem Zeitpunkt gekauft wurde und welche Aussage dies über das zukünftige Verhalten trifft. Dafür müssen logische Korrelationen – also die richtigen Zusammenhänge – herausgefunden werden.

Ein Beispiel: Eine Schlagzeile eines Boulevardmagazins lautete einmal „Verheiratete Männer leben länger“. In der Konsequenz entstand der Irrglaube, die Heirat oder die Ehe habe Einfluss auf die Lebensdauer eines Menschen. Was in dieser Schlagzeile jedoch außer Acht gelassen wurde, ist die Hintergrundvariable „genetische Veranlagung“. Denn nicht die Heirat kann zusätzliche Lebensjahre bewirken, sondern genetisch gut veranlagte Männer werden einfach eher geheiratet. Ein Mann, der gute Gene hat und gesünder ist, findet schlichtweg eher eine Partnerin. Das ist durch unseren natürlichen Überlebensinstinkt begründet. Dass der Mann länger lebt, hat also nichts mit der Heirat zutun. Die logische Korrelation liegt hier also nicht in der Ehe und der Lebensdauer, sondern in der Genetik und der Attraktivität. 

Wo findet dieser Gedanke nun Anwendung in der Logistik und warum ist er von Bedeutung?  Beispielsweise in der Beschaffung von Lebensmitteln im Einzelhandel. Eine Behauptung könnte hier lauten: „Bei einem Rabatt von 10% wird die doppelte Menge Wassermelonen verkauft.“ Das klingt erst einmal nach einer denkbaren Schlussfolgerung. Möglichweise herrschten aber zum Zeitpunkt der Verkaufsaktion hochsommerliche Temperaturen und die Wassermelone war für viele Verbraucher die nötige Erfrischung. Wenn diese Information in der Statistik keine Beachtung findet, könnte die nächste Rabatt-Aktion im Herbst in einer großen Abschrift von Wassermelonen enden. Für die Prognose über den genauen Absatz der Lebensmittel ist es daher enorm wichtig, die richtigen Zusammenhänge als Auslöser für den Verkaufsanstieg zu erkennen. Dabei unterstützen Prognosesysteme durch ihre Fähigkeit, Korrelationen aufzudecken. Der Experte im Hintergrund muss dann jedoch noch beurteilen können, ob es sich auch um die logische Korrelation handelt. 

Ein Forschungsprojekt von INFORM und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) setzte genau hier an. Ziel der Forschung war es, den Einfluss verschiedener externer Faktoren wie Wetter, Feiertage oder Produktähnlichkeiten auf die Absätze insbesondere frischer Lebensmittel zu identifizieren und diese in mathematischen Algorithmen abzubilden. Dabei wurde eine neue Generation von Machine-Learning-Algorithmen entwickelt, die den Planer der frischen Lebensmittel unterstützen soll. Fallstudien, die mit Prototypen einer entsprechenden Software durchgeführt wurden, zeigen, dass die neu entwickelten Algorithmen Absätze der Lebensmittel besser vorhersagen können, da sie alle Einflussfaktoren, wie beispielsweise das Wetter berücksichtigen.

Zusammengefasst: Werden vorliegende Vergangenheitsdaten durch die Betrachtung logischer Zusammenhänge richtig gedeutet und bilden damit eine verlässliche Datengrundlage, setzen intelligente Prognosealgorithmen auf diese Basis auf und geben verlässliche Informationen über zukünftige Ereignisse. Doch was nun, wenn eine noch nie eingetroffene Situation erstmals entsteht?

Ist die Verlässlichkeit von Prognosen ein Trugschluss?

Dass ein wiederkehrendes Ereignis in der Vergangenheit nicht in absolut jeder Situation eine verlässliche Grundlage für eine Prognose ist, das zeigt die so genannte „Truthahn-Illusion“ von Finanzmathematiker Nassim Taleb. Diese besagt: Je öfter der Bauer seinen Truthahn füttert, desto stärker glaubt dieser an die Gutmütigkeit des Menschen ihm gegenüber und die Beständigkeit seines glücklichen Lebens auf dem Bauernhof. Am Tag vor Thanksgiving jedoch fehlte dem Truthahn die Information über seinen (bislang noch nie eingetretenen) letzten Lebtag.

Die Geschichte verdeutlicht, dass Prognosen, die auf Vergangenheitswerten basieren, Störungen nicht erfassen, wenn sie noch nie zuvor aufgetreten sind. Mit dem Resultat, dass beispielsweise der eines Tages eintreffende Lieferverzug eingetreten und unveränderbar sein wird. Zwar ist jedem Supply Chain Manager bewusst, dass es Lieferverzögerungen aufgrund verschiedenster Ursachen geben kann. Doch auch dieses Wissen ermöglicht keine Vorhersage über den genauen Zeitpunkt des Eintritts. Wenn also lediglich auf Vergangenheitswerte zurückgegriffen wird und ein möglicher, wenn auch nie dagewesener, Bruch in der Struktur unberücksichtigt bleibt, funktioniert das Prognosemodell schlichtweg nicht mehr.

Nun ist die Ausgangssituation in den verschiedenen Industrien noch um ein vielfaches komplexer. Größere Produktportfolios, globale Netzwerke, viele Prozessketten und volatile Märkte schaffen immer noch große Ungewissheit über die Kundenwünsche der Zukunft. In einer solchen Situation, in der wir es mit komplexen Vorgängen und hochgradiger Ungewissheit zu tun haben, brauchen Unternehmen ergänzende Strategien – für Agilität und Wettbewerbsfähigkeit. Welche dies sind, erfahren Sie im nächsten Teil dieses Artikels.

Zukunftssicheres Supply Chain Management durch Prognosen – Vergangenheit als Grundlage

Wenn Sie sich auf die Wettervorhersage für morgen verlassen können, ist das den ausgeklügelten Wettermodellen zu verdanken, die zumeist recht zuverlässig Sonnenschein oder Regenschauer für einen kurzfristigen Zeitraum vorhersagen. Doch bereits die 7-Tage-Vorhersage ist höchstens eine Tendenz, auf die wir uns (sinnvollerweise) nicht vollständig verlassen, weil unsere Erfahrung gezeigt hat, dass die langfristige Zukunft in der Regel unvorhersehbar ist. Während die kurzfristige Zukunft, wie beispielsweise der tägliche Arbeitsweg oder eben das Wetter von morgen, deterministisch ist, kann man den Zustand der langfristigen Zukunft als „chaotisch“ beschreiben. Gerade aus dieser Zunahme von Unsicherheit entspringt der immerwährende Wunsch der Menschheit, die Zukunft vollständig vorhersehen zu können. Nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus kommerziellen Gründen.

Ruhiges Fahrwasser spart Kosten

Im industriellen und wirtschaftlichen Bereich ist der Grund für diesen Wunsch völlig klar: Je verlässlicher zukünftige Produktabsätze, Maschinenausfälle oder kurzfristige Aufträge prognostiziert werden könnten, desto exakter wären Beschaffungs- oder Produktionsabläufe und Aufwände für manuelle Änderungen vermeidbar. Insgesamt würde das alle Unternehmensprozesse beruhigen, deutlich effizienter machen, Fehlproduktionen oder versäumte Liefertermine vermeiden und somit Kosten sparen. Soweit die Wunschvorstellung.

Es existieren heute bereits Softwaresysteme, die Prognosen für die beschriebenen Ereignisse abgeben. In vielen Fällen basieren diese Vorhersagen – im Besonderen bei zukünftigem Kundenverhalten – auf historischen Daten. Denn die Vergangenheit ist faktisch und damit eine verlässliche Informationsquelle. Wurden beispielsweise in einem Produktionsunternehmen über die vergangenen zehn Jahre in jedem Mai in etwa 1.000 aufblasbare Schwimmbecken verkauft, so ist dies ein saisonaler Verkauf und der Absatz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im kommenden Mai ähnlich ausfallen. Auch für den Fall, dass das Unternehmen ein neu entwickeltes Schwimmbad auf den Markt bringt, dass sich in drei Sekunden selbst aufbläst, reagieren Prognosealgorithmen auf diese Veränderung. Es kommt nicht nur neuer Absatz hinzu, aufgrund der Portfolioerweiterung, sondern es verändert sich auch der Absatz des altbewährten Produktes. Solche Muster für Vorgänger- und Nachfolgeprodukte erfassen die Prognosen und können damit auch für Saison- oder Trendverkäufe verlässliche Aussagen über den Marktbedarf treffen.

Für genau diese Anwendungsfälle hat sich ein solches Prognosemodell für einen Blick auf zukünftige Verkäufe bewährt. Denn für Situationen wie eben der regelmäßige, trendbedingte oder auch saisonbedingte Kundenauftrag sind Prognosen auf dem heutigen Stand der Technologie äußerst verlässlich.

Ein Praxisbeispiel

Der weltweit agierende Ersatzteildistributor für Unterhaltungselektronik und Hausgeräte ASWO International Service GmbH profitiert für exakt diese Anwendungsfälle von intelligenten Prognosealgorithmen. Das Disponenten-Team bei ASWO sah sich in der Vergangenheit aufgrund der Diversifizierung des Produktportfolios mit einem starken Saisongeschäft konfrontiert. Zudem ist der Bedarf von Ersatzteilen generell schwer vorherzusagen. Vor dem Einsatz einer Optimierungssoftware sorgten die Disponenten mithilfe eines einfachen Warenwirtschaftssystems dafür, dass die am häufigsten bestellten Teile immer vorrätig waren und Lieferungen pünktlich verschickt wurden. Das funktionierte lange weitestgehend, ohne Prognosen für die Zukunft zu erstellen. Im Laufe der Jahre wurde das Teilespektrum jedoch immer größer. Irgendwann hatte ASWO den Überblick über die Bestände verloren und konnte nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, was wann bestellt werden musste. Heute wird im Unternehmen mit add*ONE Bestandsoptimierung geplant. Die Software berechnet täglich mithilfe mathematischer Algorithmen genaue Prognosen und Kennzahlen, aus welchen sie Bestellvorschlage ableitet. Dabei berücksichtigt sie neben der klassischen saisonabhängigen Nachfrage auch Tendenzen und Ausreißer. Bedarfe werden so automatisch ermittelt, was zur Folge hat, dass die Prozesse in der Disposition wesentlich effizienter ablaufen. Obwohl ASWO inzwischen wesentlich mehr Teile im Sortiment hat, hat sich die Liefertreue in eineinhalb Jahren von 90 auf 95 Prozent verbessert, bei gleichbleibenden Beständen.

Sich für jede Situation vollends auf Prognosen zu verlassen, kann jedoch auch negative Konsequenzen haben. Wann das so ist und welche Alternativen dort entstehen, wo Prognosen enden, erfahren Sie in den folgenden Artikeln dieser Reihe.

Papierlose Abwicklung von Transportaufträgen mit digitalen Frachtbriefen

Der digitale Frachtbrief steht sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland noch immer vor rechtlichen Hindernissen. Technisch ist dagegen seine Umsetzbarkeit längst gegeben. Würde der Güterverkehr in Deutschland komplett auf diese elektronische Form umstellen, ließen sich jährlich dreistellige Millionenbeträge einsparen. Nicht zuletzt würde sich auch die Umwelt über Papiereinsparungen freuen. Trotz all dieser Vorteile lässt die flächendeckende Einführung des e-CMR in Deutschland und Europa noch immer auf sich warten.

Die Idee des Frachtbriefs

In Deutschland wird durch das Handelsgesetzbuch geregelt, welche Angaben der Frachtführer beim Ausstellen des Frachtbriefes einfordern kann. Im internationalen Straßengüterverkehr wird ein CMR-Frachtbrief benötigt. CMR ist die Abkürzung für das französische “Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route”, übersetzt: „Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr.“

Die Idee des Frachtbriefs ist es, den Transport von Gütern einfach, zugleich aber auch überprüfbar und rechtssicher zu machen. Rechtssicherheit schaffen die Frachtbriefe zwar, mit der Vereinfachung der Abläufe indes hapert es – zumindest bei den analogen CMR. Üblicherweise müssen Frachtbriefe mit vier Durchschlägen erstellt werden. Ein Exemplar bleibt beim Absender, eines wird dem Frachtgut beigelegt. Den dritten Durchschlag erhält der Frachtführer, der vierte ist für den Zoll oder eine andere Behörde.

Vorteile des digitalen Frachtbriefs

Nicht nur das Erstellen dieser analogen Dokumente, auch ihre Verteilung sowie Archivierung kosten viel Zeit und Personal. Schätzungen zufolge werden pro Frachtbrief 4 Euro eingespart, wenn statt der analogen Papier-Dokumente digitale CMR treten. Bei geschätzten 150 Millionen auszustellenden Frachtbriefen im Jahr läge das Einsparpotenzial allein in Deutschland bei 600 Millionen Euro.

Die flächendeckende Einführung eines elektronischen Frachtbriefs schafft zudem Schnittstellen zu anderen digitalen Systemen, sodass sich der Frachtbrief gewissermaßen in beliebige Richtungen erweitern lässt. In seiner elektronischen Variante ist dieser kein isoliertes Dokument mehr, sondern Teil der digitalen Dokumentation eines Gütertransportes.  Er bietet auch die Möglichkeit, Schäden am Frachtgut in Echtzeit zu dokumentieren. Bei Unfällen oder Verspätungen kann so rascher Ersatz für die benötigten Lieferungen gesorgt werden.

Die zögerliche Einführung des digitalen Frachtbriefs hat Gründe

Trotz der unübersehbaren Vorteile läuft die flächendeckende Einführung des E-Frachtbriefs bislang nur sehr zaghaft an, da die Einführung des e-CMR anfänglich mit Investitionen in Technik verbunden ist und aufgrund fehlender Standards bislang oft nur schwer zu entscheiden ist, in welche Technik investiert werden soll.

Die bislang zögerliche bis mangelnde Akzeptanz des e-CMR hängt aber auch an der nach wie vor ungeklärten Rechtslage. Im § 408 HGB findet sich zwar bereits seit 2013 der Hinweis (in Abs. 3), dass „dem Frachtbrief eine elektronische Aufzeichnung gleichgestellt“ sei.

„Einzelheiten der Ausstellung, des Mitführens und der Vorlage eines elektronischen Frachtbriefs sowie des Verfahrens einer nachträglichen Eintragung in einen elektronischen Frachtbrief” sind laut HGB jedoch in einer Rechtsverordnung zu regeln. Diese gibt es bislang aber noch nicht. Der deutsche Gesetzgeber träumt also vom digitalen Frachtbrief, verweigert aber die Auskunft darüber, wie dies in der Realität umzusetzen ist.

Zu den rechtlichen Hürden gesellen sich technische Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der E-Frachtbrief sich auch in der Praxis bewährt. Ein einfaches PDF reicht dafür nicht aus. Der e-CMR muss elektronisch bearbeitet werden können, sowohl für Auftraggeber, Empfänger, Frachtführer als auch Behörden lesbar sein und seine eigene Echtheit ausweisen können.
Authentizität und Richtigkeit analoger Papiere werden klassischerweise durch Stempel beglaubigt. In der digitalen Welt gibt es dafür u.a. digitale Signaturen (Stempel), deren Prüfung über Zertifizierungsanbieter laufen kann.

Fazit

Der digitale Frachtbrief spart Personal und viel Zeit. Statt auf die flächendeckende Einführung zu warten, gehen digitale Speditionen voran und bieten schon heute die Möglichkeit, alle für die Frachtbriefe notwendigen Dokumente vollständig digital abzuwickeln. Dank App funktioniert das auch unterwegs problemlos. Für internationale Verkehre müssen die entsprechenden Papiere (CMR) derzeit noch ausgedruckt vorliegen. Der digitale Frachtbrief zeigt jedoch, dass dieser Papierkrieg im Grunde schon heute obsolet ist. Es ist an der Zeit, dass dies auch Behörden und Gesetzgeber anerkennen und noch bestehende rechtliche Lücken endlich schließen.

Supply Chain Event Management – Wie wir in die logistische Zukunft sehen können

Sie wissen, was Sie wollen? Amazon weiß es auch. Sogar noch, bevor Sie sich darüber im Klaren sind. Mit dem Konzept Anticipatory Shipping verspricht der Online-Händler uns Wünsche zu erfüllen, noch ehe wir sie kennen.

Anticipatory Shipping, ein Patent von Amazon

Der Begriff Anticipatory Shipping“ geht auf ein Patent von Amazon zurück, dass am 24. Dezember 2013 unter der Bezeichnung „Anticipatory Package Shipping“ angemeldet wurde. Das Konzept sieht vor, dass Amazon das Bestellverhalten von Kunden analysiert und aufgrund der ausgewerteten Daten dann prognostiziert, was wo zu welchem Zeitpunkt bestellt werden wird. Amazon ist dadurch u.a. in der Lage, Lieferungen in einem 2-Stunden-Fenster anzubieten.

Dabei werden nicht einzelne Bestellungen vorausgesagt, sondern vielmehr Warenströme, wodurch eine schnellere Reaktion auf Bestellungen möglich wird. Dafür wird auf Daten zurückgegriffen, die die Besucher der Webseite hinterlassen: bisher gekaufte Produkte, Wunschzettel, Warenkörbe, Suchhistorien oder auch die Dauer des Mauszeigers auf bestimmten Produkten. Auf dieser Basis will Amazon künftig sogar voraussagen können, in welchem Lebensabschnitt Kunden an welchen Waren interessiert sein werden und die Logistik entsprechend auf dieser Voraussage aufbauen.

Big Data schafft die Basis für Predictive Analytics

Amazon sieht die Stärken des Anticipatory Shipping vor allem im Bestseller-Bereich sowie in dicht besiedelten Gebieten. Für seltener nachgefragte Produkte sowie in Gegenden mit eher dörflicher Struktur verspricht das Konzept weniger Effizienzgewinne. Das liegt u.a. daran, dass durch Voraussagen von Warenströmen die Größe der Lieferfahrzeuge exakter gewählt und Leerfahrten besser vermieden werden können. Anticipatory Shipping funktioniert am besten in Bereichen, wo mit großen Zahlen operiert werden kann. Letztlich ist es daher nur eine von vielen Anwendungen aus dem Bereich der Predictive Analytics.

Beispiel KEP-Dienstleister

Auch der KEP-Dienstleister DPD nutzt seit einiger Zeit Predictive Analytics, um die Zustellung von Paketen zu verbessern. Ziel des vorausschauenden Lieferprozesses ist es, privaten Empfängern bis auf die Stunde genau nennen zu können, wann das Paket bei ihnen eintrifft. Dafür verarbeiten die Rechner des Unternehmens rund 30 Millionen Datensätze täglich.

Die größte Hürde bei der Umsetzung war dabei, dass die Daten auf unterschiedlichen Systemen dezentral verteilt waren. Sowohl das Beispiel von DPD als auch das Konzept des Anticipatory Shipping zeigen eine wesentliche Voraussetzung für vorausschauende Logistik auf: Daten müssen nicht nur erhoben werden, sondern auch zusammengeführt werden können.

Digitale Speditionen bieten dafür ideale Voraussetzungen. Da die Transportorganisation vollständig digital abgewickelt wird, ermöglicht die digitale Spedition auch ein Supply Chain Event Management (SCEM). Diese noch relativ junge Logistik-Disziplin ermöglicht es, auf ungewöhnliche Ereignisse innerhalb der Lieferkette zeitnah zu reagieren. Auch SCEM blickt in die Zukunft, indem es permanent aktuelle Daten registriert und analysiert.

Reaktionsstarkes Supply Chain Event Management

Lieferketten sind  abhängig von einer Vielzahl von Faktoren und Ereignissen (Events), zu deren Wesen es gehört, dass sie

  • abhängig von vielen anderen Events sind, also durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet sind
  • sich dynamisch verhalten
  • teilweise intransparent sind (da Einzelinteressen der Beteiligten zu Informationsbarrieren führen)

Angesichts der immer engeren Verzahnung von Produktion und Zulieferung wächst die Störanfälligkeit von Supply Chains kontinuierlich. Um die Auswirkungen solcher Störungen zu minimieren und besser in den Griff zu bekommen, hat sich als neuer Zweig der Logistik das Supply Chain Event Management entwickelt. SCEM hat den Anspruch, die Relevanz von Ereignissen auf die Lieferkette einschätzen zu können. Es wird daher ein Toleranzbereich erstellt, bei dem nicht aktiv eingegriffen werden muss. Wird dieser Toleranzbereich über- bzw. unterschritten, werden Handlungsalternativen ausgelöst.

Ausgangspunkt für das Management relevanter Events sind dabei die heute vielfach in der Logistik eingesetzten Tracking & Tracing-Systeme. Sie ermöglichen das Erfassen von IST-Zuständen und damit den Abgleich zum jeweils geplanten SOLL-Zustand. Ziel des Abgleichs ist es, möglichst zeitnah auf Events reagieren zu können bzw. diese sogar vorhersagen zu können und dadurch steuerbarer zu machen.

Das SCEM kümmert sich dabei sowohl um positive (etwa kurzfristig freigewordene Lieferkapazität) als auch um negative Ereignisse (z. B. Produktionsausfall).

Entscheidend für eine vorausschauende Logistik ist eine solide Datenbasis. Sowohl Anticipatory Shipping als auch SCEM nutzen hierfür (historische) Daten, um alltägliche Entscheidungen in Zukunft zu optimieren. Beide Ansätze leben von der Qualität ihrer Daten. Je genauer Interaktionen und Transaktionen erfasst werden, desto besser kann auf kritische Ausnahmefälle reagiert werden und desto eher gelingen valide Voraussagen.

5 Tipps für die Supply Chain in der Lebensmittelindustrie

1. Kostenfaktoren: Halten Sie die gesamte Supply Chain im Blick

Welche Produkte werden wo am besten produziert? Diese Frage zu Beginn der Planung neuer Produkte, Produktlinien oder Produktvarianten ist nicht ohne die Berücksichtigung der dazugehörigen Kosten für Lagerung und Transport oder auch steuerlicher Aspekte zu beantworten. Einzelne Kostenfaktoren müssen im Gesamtkontext betrachtet werden, nicht für sich alleine. So beeinflussen beispielsweise Lagerzeiten unter Umständen Transportkosten für die Ware. Eine Entscheidung im Rahmen einer spezifischen Fragestellung kann sich auf die gesamte Supply Chain auswirken (Bullwhip Effect).

2. Passen Sie Produktionskapazitäten flexibel an

Der Teufel steckt im Detail: Mit einer Supply-Chain-Design-Software lassen sich die Produktionskapazitäten an unterschiedlichen Standorten so auslasten, dass die Gesamtproduktionskosten sinken. Je nachdem, wo die Nachfrage höher und wo niedriger ist, werden in der Lebensmittelindustrie die erforderlichen Grundstoffe von unterschiedlichen Orten bezogen, um sie weiter zu verarbeiten. Was einleuchtend klingt, ist allerdings ohne eine Supply-Chain-Design- Software nur schwer umzusetzen. Die beiden Faktoren Beschaffungsort und lokale Nachfrage    hängen miteinander zusammen und können nur mit einer Optimierungsanwendung sinnvoll analysiert werden, um die kostengünstigste Lieferkette zu bestimmen.

3. Eine Bestandsoptimierung sorgt für Einsparungen

Bestände – Menge und Verfügbarkeit – sind für jedes Unternehmen ein kritischer Faktor. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass immer der optimale Bestand verfügbar ist ̶ nicht zu viel und nicht zu wenig, möglichst kostengünstig. Die richtigen Fragestellungen und die Betrachtung unterschiedlicher Einflussfaktoren (KPIs) ermöglichen erhebliche Kosteneinsparpotenziale. Eine Supply-Chain-Design-Software berücksichtigt sämtliche Variablen von der Beschaffungsstrategie bis zur Warenverteilung. Sie macht sichtbar, wo Einsparungspotenzial besteht und wie Unternehmen handeln müssen, damit die Bestandskosten gesenkt werden können. Beispielsweise gibt sie Auskunft darüber, wann bei welcher Nachfrage eines Produkts die Lagerbestände aufgefüllt werden müssen.

4. Verderbliche Lebensmittel brauchen straffe Zeitpläne

Gerade verderbliche Lebensmittel bedürfen besonderer Behandlung. Ein straffer Zeitplan bei der Auslieferung und Auflagen wie bestimmte Transporttemperaturen sind streng einzuhalten. Dieser Prozess beginnt bei der Produktion und zieht sich bis zum Verkauf an den Endkunden. Dass ein Produkt beim Warentransport zwischengelagert wird, ist recht wahrscheinlich. In diesem Fall kann eine Supply-Chain-Design-Software anhand des Haltbarkeitsdatums genau ausrechnen, wann das Produkt unter welchen Bedingungen weitertransportiert werden muss.

5. Gestalten Sie den Warentransport möglichst kosteneffizient

Egal ob Unternehmen eine eigene Transportflotte haben oder die Ware von externen Dienstleistern ausliefern lassen. Die Frage nach der optimalen Transportroute bleibt dieselbe. Unterschiedliche Transportmodi müssen in jedem Fall optimal miteinander kombiniert werden – Straße, Schiene, See- oder Luftfracht. In Zukunft vielleicht Drohnen und autonome Fahrzeuge. Die Route hängt mit dem ausgewählten Transportmittel zusammen und nur eine Supply-Chain-Design-Software kann belastbare Aussagen für einen optimalen Warentransport machen.

Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Geschäftsmodelle werden sich verändern

Viele logistische Aufgaben laufen heute bereits weitgehend automatisiert ab. In einem automatischen Hochregallager gibt es keine Menschen mehr wegzurationalisieren. Eine Datenbrille ersetzt vielleicht Pick by Voice, also eine Optimierung bestehender Technologie. Viele neue Technologien, die gerade entwickelt werden, funktionieren zwar unter den Laborbedingungen brillant, aber eben nur unter diesen oder in eng begrenzten Nischen.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Zustellroboter. Wie viele Roboter müssen bei gegenwärtig 3 Milliarden KEP-Sendungen jährlich auf unseren Bürgersteigen und in Konkurrenz zu Fußgängern oder Radfahrern unterwegs sein, um solche Mengen auszuliefern (abgesehen von Schlechtwetterperioden, in denen sie nicht eingesetzt werden können oder praktischen Herausforderungen wie ein mit Mülltonnen zugestellter Weg)? Selbst dann werden sie ein konventionelles Zustellfahrzeug als Backup brauchen, weil sonst die Wege zwischen Paketaufnahme und Auslieferung viel zu groß werden. Eine normale deutsche Innenstadt entspricht nicht Laborbedingungen!

Industrie 4.0 wird die Supply Chains verändern

Viel größeres Augenmerk sollte daher darauf gerichtet werden, wie sich die Anforderungen von außen an die Logistik verändern. Durch Digitalisierung werden Produktlebenszyklen immer kürzer, Logistikketten müssen ganz neu konfiguriert werden, weil sich gegebenenfalls auch Produktionsstätten verlagern. Der Trend zu kleineren Losen durch hochflexible Fertigung bis zur Losgröße 1, wird die Logistikketten weiter beschleunigen: Production on Demand bedeutet dann auch Delivery on Demand. Der Stückkostenvorteil einer Massenproduktion von Zulieferteilen in Fernost wird gegenüber dem Zeitnachteil einer Containerverschiffung eher verloren gehen. Dies könnte verstärkt wieder zu regionalen Produktionscluster führen, die in der Lage sind, auch kleine Stückzahlen ad hoc zu fertigen und zu liefern. Aktuelles Beispiel ist z. B. die Speedfactory von Adidas, in der das Unternehmen zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder in Deutschland produziert.

Dies wird für Logistiker bedeuten, dass sie hier hochflexible Lösungen liefern und sich räumlichen Veränderungen der Lieferketten anpassen müssen. Was hilft eine hochautomatisierte Logistikanlage, wenn sie einerseits schnell benötigt wird, aber genauso schnell wieder ihre Notwendigkeit verliert. Dagegen sprechen sowohl Planungs-, Realisierungs- wie auch wirtschaftliche Amortisationszeiten.

Daraus lässt sich der Trend weg von den Funktionen der Vorratslagerung hin zu individuellen Handlings- und Distributionszentren ableiten. Diese Individualität spricht eher für zwar hochgradig digital unterstütztes aber doch letztlich manuelles Arbeiten.

Online-Handel bringt neue logistische Aufgaben

Eine andere Entwicklung ergibt sich durch den Trend zum Online-Shopping durch die Digitalisierung des Handels. Hier wird schon überlegt, eine neue feinräumige Logistikstruktur aufzubauen, um gerade die typischen Sortimente des LEH zeitnah zum Kunden zu bringen. Schließlich muss dann die bislang kostenlose Dienstleistung des Kunden, der heute die Ware selbst in den Einkaufswagen und seine Tasche kommissioniert und sich selbst nach Hause liefert, ersetzt werden. An diesem Punkt muss jedoch aufgepasst werden, in welcher Form gerade in diesem Bereich ein neuer prekärer Billiglohnsektor entsteht!

Ein Fazit

Aus den vorangegangen Überlegungen ergibt daher sich folgendes Bild: Die Digitalisierung wird weiter in die Logistik vordringen. Zum Teil wird sie bereits heute eingesetzte Technik durch bessere ersetzen. Technik und logistischer Prozess müssen aber immer zusammenpassen. Je individueller und flexibler logistische Leistungen in der Zukunft werden, desto mehr intelligente Unterstützungsleistung wird benötigt, um die Arbeit effizient zu erfüllen. Gleichzeitig werden manuellen Tätigkeiten in Summe deutlich zunehmen. In Teilen wird dies zu Arbeitsplätzen führen, an denen sowohl hohe digitale wie manuelle Kompetenz benötigt wird, andererseits mit Blick auf die Zunahme des Onlinehandels mehr problematische Arbeitsplätze auf der letzten Meile.

Lesen Sie jetzt auch die anderen Artikel der Reihe „Logistik 4.0 und die digitale Zukunft“:

Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Logistik ohne Menschen geht nicht!

In Ruhrgebiet lautet ein alter Spruch: Im Durchschnitt sind der Chef von Krupp und sein Fahrer beide Millionäre – nur der eine ist es wirklich. In der Logistik verhält es sich ähnlich. Durchschnittsmengen sind in der Auslegung logistischer Systeme keine validen Größen. Sie können lediglich Indikatoren dafür sein, auf welchem Grad eine technisch automatisierte Infrastruktur noch wirtschaftlich ist. Wohl den wenigen Unternehmen, für die der Durchschnitt eine verlässliche Arbeitsgröße ist.

Wann ist Logistik »normal«?

Viele Lieferketten leben mit extremen Schwankungen, die saisonal oder eben auch ohne jeglichen »Plan« in Zickzack-Linien durch das Jahr verlaufen. Große Teile der Süßwarenbranche leben von Ostern und vor allem Weihnachten. Zwar hat man verstanden, dass man Weihnachtsartikel schon ab Anfang September in die Märkte ausliefert, um den größten Peak abzufangen, anderseits könnte der neue Trend zum Onlinehandel im Lebensmittelbereich hier auch zu einer Umkehr führen. Was, wenn der Kunde in Zukunft wieder Osterhasen erst wirklich zu Ostern und Lebkuchen erst wirklich zu Weihnachten bestellt?

Signifikante Mengenschwankungen sind nicht nur ein Problem der Konsumgüterbranche. Die täglichen Ausgangsmengen eines großen Unternehmen im technischen Handel können zwischen 350 und 1.400 vollgeladenen LKW verteilt auf mehrere Standorte schwanken, ohne dass es hier einen planbaren Bezug gibt. Bei 24 Stunden Lieferzusage, bzw. projektbezogenen Terminen und Baustellenbelieferung ist auch keine Glättung möglich. Die Spitzen müssen so abgearbeitet werden, wie sie kommen.

Digitalisierung wird unterstützen, nicht ersetzen

Fakt ist, Digitalisierung wird in Zukunft all diese Prozesse noch effizienter unterstützen. Unrealistisch ist es aber, dass wir auch die möglichen Maximalauslastungen maschinell unterstützen. Allein aus wirtschaftlichen Gründen, wird man Material-, Kommissioniersysteme, etc. in vielen Fällen unterhalb der Maximallast konfigurieren müssen. Technische Infrastruktur vorzuhalten, die nur wenige Tage im Jahr genutzt wird, kann sich kein Unternehmen leisten. Selbst Amazon muss zu Saisonspitzen befristet Mitarbeiter einstellen – und die lassen sich nicht von Maschinen anleiten.

Logistik bedeutet Flexibilität

Das Unvorhergesehene ist in der Logistik immer wieder Realität. Dann müssen Abwicklungslösungen gefunden werden, die außerhalb der digitalen Prozesse und Maschinenparks effizient funktionieren. Wer Logistikalltag kennt, weiß dies nur zu genau. Produktionsschwierigkeiten beim neuen Tesla-Modell 3 zeigen, dass allein digitalisierte Abläufe noch kein Garant für reibungsloses Funktionieren sind uns es ohne Menschen, die die Prozesse auch noch analog beherrschen, nicht geht.

Dazu müssen die digitalen Prozesse so offen sein, dass sie manuelle Abwicklungen weiter zulassen. Der zentrale Punkt ist hierbei: Für solche Fälle muss auch ein solider Bestand an operativen und leitendem Personal zur Verfügung stehen, die in solchen Ausnahmesituationen weiterhin manuelle Logistik in dem neuen digitalen Umfeld sowohl prozesssicher wie handwerklich kompetent abwickeln können.

Logistik ist dynamischer als automatisierte Großsysteme

Große Wertschöpfungsanteile der Logistik sind heute an Logistikdienstleister ausgegliedert, dies oft mit kurzen Vertragslaufzeiten. Wir wissen alle, dass technologische und digital aufwendige Prozesse nicht einfach durch plug & do bei einem Dienstleisterwechsel ausgetauscht werden können, dazu ist die Individualität der logistischen Ketten einfach zu groß.

Persönliche Kompetenz ist Wettbewerbsvorteil

Für die Logistik in Deutschland ist diese Form der Flexibilität weltweit ein Prädikatsmerkmal. Es gibt daher keinen Grund, dies leichtfertig aufzugeben. Wir sind in den letzten Jahren mehrfach auf Platz 1 im globalen Ranking der Logistikkompetenz bewertet worden, ein Resultat von Spitzenmanagement bis zum Facharbeiter. In Summe macht es den Unterschied zwischen Durchschnitt und Top-Performance aus. IT-Lösungen kann man global kopieren. Persönliche Kompetenz eben nicht. Wo Logistik heute schon auf dem Stand der Technik ist, wird es eher inkrementelle Verbesserungen geben.

Eine andere Frage ist, wie sich Industrie und Handel in Folge der Digitalisierung neu aufstellen, was Lieferketten grundsätzlich verändern könnte. Dies wird Thema des dritten Teils dieser Reihe sein.

Lesen Sie jetzt auch die weiteren Artikel der Reihe „Logistik 4.0 und die digitale Zukunft“:

 

Logistik 4.0 und die digitale Zukunft – Hype oder Realität?

Die Digitalisierung schreitet voran und führt gleichzeitig zu großen Verunsicherungen. In einer repräsentativen Umfrage kannten fast 80 % der Befragten weder die Begriffe Industrie 4.0 oder Internet der Dinge, nur knapp 8 % konnten ansatzweise ihre Bedeutung beschreiben.

Auf der anderen Seite ist Digitalisierung auch immer wieder als Hype der IT- und Beraterbranchen beschrieben worden, die sehr viel von ihren Ideen, wenig aber von der Anwendbarkeit verstehen. Grund genug für eine vorläufige Bestandsaufnahme.

Ein wesentliches Grundprinzip der Logistik ist ihre Eigenschaft der Vernetzung von Leistungen. Kernbegriffe sind logistische Kette oder Supply Chain. Hieraus ergibt sich ein erster Ansatzpunkt. Schaut man genauer auf die Dynamik der Digitalisierung, wie dies jüngst auch das Weltwirtschaftsforum in einem Sondergutachten festgestellt hat, dann geht der Schwerpunkt der Förderung digitaler Innovationen in die Entwicklung von Insellösungen, nicht in vernetzte Anwendungen.

Daten – Ein unterschätzter Faktor

Tatsächlich scheitert die Umsetzung vieler innovativer digitaler Produkte entweder am schlichten Mangel valider Inputdaten und/oder an deren mangelnder Konnektivität, sprich diese organisatorisch wie auch technisch auf gemeinsamen Standards auszutauschen. So hat sich z.B. ein namhafter Geräte- und Anlagenhersteller der SHK-Branche selbst ein straffes 8 Jahresprogramm verordnet, die interne produktbezogene Datenerzeugung und -verwendung von der Entwicklung bis zum After Sales auf eine einzige Datenplattform zu überführen, um wirklich konsequent Industrie und Logistik 4.0 realisieren zu können. Diese Herausforderung wird leider vielfach unterschätzt.

Modellanwendungen sind oft solche, bei denen für ein oder zwei Produkte ein Werk auf der grünen Wiese erstellt wurde. Ein (logistisches) Lifecycle-Management ist in den Konzepten schlicht nicht vorgesehen. Bestes Beispiel ist das Fairphone, dass mit dem Anspruch auf ein nachhaltiges Smartphone angetreten ist und schon jetzt bei Generation 2 die Ersatzteilversorgung für die 1. Generation nicht mehr sicherstellen kann. Solche Entwicklungen sind aber für ganzheitliche Produktions- und Logistikkonzepte schlicht untauglich. Logistik bedeutet auch Nachhaltigkeit.

Mangelnde Schnittstellen, Protokolle und gemeinsame Lösungen

Jetzt erst beginnt die Industrie sich auf gemeinsame Schnittstellen und Protokolle für den Datenfluss zwischen Maschinen und Akteuren zu verständigen. Auch hier ist unmittelbar die Logistik involviert, die solche Informationen in der Supply Chain aufnehmen und weitergeben muss. Sie ist von den Herstellern abhängig.

Ein weiteres Problem der Konnektivität in der Logistik sind neben logischen Standards auch Physische. So hängen z.B. viele digitale Innovationen an intelligenten Behältern und Ladungsträgern (Paletten). Diese sind wieder wirtschaftlich abhängig von Poolsystemen, an denen sich viele Unternehmen beteiligen und so ein Tausch- und Kreislaufsystem ermöglichen.

Dies führt zu Innovationen in der Sackgasse. Bislang hat man daraus wenig Lehren gezogen. Statt endlich das eigentliche Problem der Umsetzung von Technologie anzupacken, setzt man bislang noch immer darauf, Pioniertechnologien zu fördern, die andere Pioniertechnologien schon wieder ablösen, bevor diese überhaupt Marktreife oder Marktdurchdringung erreicht haben.

Ausblick

Die Digitalisierung stellt sich hier gegenwärtig selbst ein Bein. Dies allein ist noch kein Grund generell Entwarnung zu geben. Die Herausforderung an die Mitarbeiter in der Logistik wird sein, auch als »Grenzgänger« die komplexere digitale Welt zu beherrschen. Im zweiten Teil dieser Reihe soll daher näher darauf eingegangen werden, welche Rolle der Flexibilitätsfaktor Mensch gegenüber intelligenten Maschinen in der Logistik hat. Im dritten Teil wird betrachtet, wie sich Logistikkonzepte in einer digitalen Umwelt verändern, welche Auswirkungen z.B. das Ziel Losgröße 1 oder der Trend zum Online-Shoppen haben.

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Das Supply Chain Center of Excellence

Es genügt nicht, bei der Lieferkettenplanung den idealen Weg von A nach B für ein Produkt zu finden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der ausgearbeitete Plan nicht durchzuführen ist, ist hoch. Vorherzusagen, welche Ereignisse in der Zukunft Auswirkungen auf die Lieferkette haben, ist nahezu unmöglich. Beispiele für sich ändernde Gegebenheiten können Bedarfsschwankungen und Omnichannel-Geschäftsmodelle, steigende Rohstoffpreise, Naturkatastrophen, politische Spannungen und internationale Konflikte sein. Veränderungen von externen Beschaffungs- und Transportnetzwerken sind weitere, entscheidende Einflussfaktoren im Tagesgeschäft weltweit agierender Unternehmen. Diese vielfältigen und zum Teil unbekannten Variablen bedeuten für jedes Unternehmen hunderte von „Was wäre wenn“-Szenarien, die im Idealfall schnell und datenbasiert beantwortet werden sollten.

Die Lieferkettenoptimierung: Work in progress

Um den neuen Herausforderungen tagtäglich zu begegnen, reicht es nicht mehr aus, sich auf Trends und Statistiken der Branche zu verlassen. Damit ein Lebensmittelhersteller beispielsweise für das Weihnachtsgeschäft gerüstet ist, genügt es nicht, die Lieferdaten und Absatzzahlen aus den Wintermonaten des Vorjahres zu analysieren. Unternehmen müssen Entscheidungen treffen, die auf kontinuierlichem Supply Chain Design basieren. So können sie erkennen, wo zum jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt Kosten und Risiken minimiert werden können. Viele Unternehmen setzen daher auf die Kompetenzen eines eigenen Supply Chain Design Center of Excellence. Ein solches Kompetenzzentrum überwacht laufend die gesammelten Daten aus dem Supply-Chain-Netzwerk und somit sämtliche Einflussfaktoren. Dieses Center of Excellence verknüpft Daten, die aus unterschiedlichen Quellen stammen. Die Informationen werden im Anschluss zu aussagekräftigen Supply-Chain-Szenarien zusammengeführt.

Supply Chain Center of Excellence

Ein Supply Chain Center of Excellence ist ein erfolgversprechender Weg, um Lieferketten bestmöglich auszurichten. Neben der Software kommt es auf gut ausgebildete, fachkundige Mitarbeiter aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen an. Interdisziplinäre Teams, die zum Beispiel aus Produktions-, Vertriebs-, Kundenservice-, Logistik- und Finanzmitarbeitern bestehen, gewährleisten die unabhängige Ausrichtung des Center of Excellence. Eine zentrale Aufgabe ist die unterschiedliche Gewichtung von Modellierungsszenarien. Jede Initiative kann im Rahmen einer Matrixstruktur nach ihrem Nutzen und ihrer Komplexität eingeordnet werden. Dabei umfassen mögliche Varianten das gesamte Supply-Chain-Netzwerk und reichen zum Beispiel von Multi-Echelon-Bestandsoptimierung bis zur Simulation von Cost-to-Serve Modellen, alternativen Beschaffungsstrategien, Standortanalysen und Exportoptimierungen. So lassen sich schnell die Projekte mit dem größten Wertschöpfungspotenzial erkennen.

Fazit

Viele Unternehmen wissen um die Wichtigkeit von Supply-Chain-Design-Initiativen. Sie sind die Eckpfeiler, um die gesteckten Ziele auch zu erreichen. Häufig bleibt es jedoch bei strategischen Konzepten, die oftmals nur in großen zeitlichen Abständen von externen Partnern überarbeitet werden. Diese Vorgehensweise ist kostspielig und nicht effizient. Die Etablierung eines internen Supply Chain Center of Excellence hingegen bindet wichtiges Know-how im eigenen Unternehmen und ermöglicht darüber hinaus die kontinuierliche Überprüfung und Verbesserung des globalen Supply-Chain-Netzwerkes, einer entscheidenden Erfolgskomponente.