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Die Bremskraft der Industrie

Als Unternehmer und Gründer eines Startups ist es ehrlich gesagt, frustrierend zu sehen, dass Industrie 4.0 bereits Realität sein könnte, wenn Startups nicht ständig Steine in den Weg gelegt werden würden. Bereits 2015 erschien auf welt.de ein Artikel von Jens Kohrs und Michael Posch[1] mit dem Titel „Misstrauen bremst die intelligente Fabrik aus“ zum Thema Industrie 4.0. Darin beschrieben die Autoren das Auseinanderklaffen der technologischen Möglichkeit und deren Anwendung. Ein Viertel der befragten Manager konnte demnach noch nicht einmal etwas mit dem Begriff Industrie 4.0 anfangen, obwohl mit dieser bzw. mit der vernetzten Produktion hohe wirtschaftliche Chancen verbunden sind. Einer der angeführten Gründe war das mit der neuen Technik verbundene Misstrauen. Wobei ich einmal in Frage stelle, ob es sich hier nicht eher um die Angst vor dem Neuen handeln könnte.

Startups versus etablierte Unternehmen

 

Industrie 4.0 ist nur ein Beispiel für technologischen Fortschritt, der durch etablierte Unternehmen ausgebremst wird. In der Regel sind Startups innovativer, agiler, flexibler, schneller und motivierter in der Umsetzung ihrer Projekte. Sie haben (noch) keine starren Unternehmensstrukturen ausgebildet, wodurch sie auch kurzfristig den Kurs wechseln und einen neuen Weg der Problemlösung einschlagen können. Das macht sie vor allem in technologieaffinen Branchen erfolgreich.

Ein gutes Produkt muss allerdings noch lange nicht zum erhofften Erfolg führen. Ein mir bekanntes Startup brachte 2016 ein Produkt auf den Markt, das zwar mehreren Unternehmen angeboten wurde, das aber letztendlich nie verkauft wurde. Eines der damals angefragten Unternehmen entwickelte jedoch kurz darauf ein ähnliches Produkt, das allerdings wesentlich komplizierter in der Anwendung war und nur zu einem Drittel die Funktionen des Originals besaß. Anstatt sich also auf das Neue ein- und möglicherweisen Veränderung zuzulassen, wurden hier Ressourcen darauf verschwendet eine gute Idee minderwertig umzusetzen.

Kooperation statt Widerstand

 

Der steigende Konkurrenzdruck zwingt auch etablierte Unternehmen vermehrt dazu, sich auf neues Terrain zu wagen. Eine Zusammenarbeit zwischen Startups und etablierten Unternehmen kann dabei Vorteile für beide Seiten haben. Während Startups alle oben genannten Fähigkeiten besitzen, sind Unternehmen effizienter. Sie können auf Bestehendes zurückgreifen, denn eine Unternehmensstruktur bedeutet nicht nur Starre, sondern auch Stabilität. Neue Ideen könnten durch eine Zusammenarbeit wesentlich schneller implementiert und umgesetzt werden. Eine wirkliche Kooperation zwischen Unternehmen und Startup kann jedoch nur funktionieren, wenn sich die Partner dabei auf Augenhöhe begegnen und nicht, aus Angst von den Emporkömmlingen überholt zu werden, mauern. Startups sind aber keine Bittsteller, sondern beide Seiten wollen etwas, dass der andere hat. Fragt sich nur, wie lange es dauern wird, bis der Groschen fällt.

 

Infokasten:           

Rachid Touzani ist CEO von CargoSteps, einem Logistik-Startup aus Frankfurt. Das unabhängige und neutrale Tracking-System von CargoSteps erlaubt es Unternehmen, firmenübergreifend, auch international, in einer Lösung zusammenzuarbeiten. Für mehr Informationen besuchen Sie www.cargosteps.com.

[1] Siehe: https://www.welt.de/sonderthemen/mittelstand/it/article139313724/Misstrauen-bremst-die-intelligente-Fabrik-aus.html.

Selbstbewusste Konsumenten zwingen die Logistik zum Umdenken

Galt in der Logistik bislang, dass das günstigste (verlässliche) Konzept gewinnt, spielt der Faktor Kundenzufriedenheit nun eine ebenso große Rolle. Motor dieses Trends sind die Verbraucher. Im Onlinehandel daran gewöhnt, rund um die Uhr bestellen zu können, möchten sie auch beliefert werden, wenn es ihnen passt.

Automatisierung und Bündelung allein reichen nicht mehr

Dabei waren gerade diese beiden Punkte verlässliche Treiber der Logistikbranche. Paketverteilsysteme wurden durch Automatisierung effektiver. Durch Bündelung von Bestellungen und langfristige Verträge können ebenso Kosten eingespart werden wie durch Lang-LKW.

Doch größere Einheiten haben einen Nachteil: Die Größe setzt der Flexibilität enge Schranken. Ein Logistikzentrum liegt meist „auf der Wiese“ und außerhalb der Metropolen. Eine Bestellung am selben Tag abzuliefern, gar in einem festgelegten Zeitfenster, wird so zum Kraftakt. Einen Ausweg bieten Modelle, in denen die starren Lieferketten aufgebrochen werden. Zentrales Element ist die Datenerfassung: Nur wer die Bedürfnisse seiner Kunden kennt, kann sie auch zielgenau erfüllen.

Wie Zalando durch Integrated Commerce auf vielen Hochzeiten tanzt

Zalando kooperiert seit 2016 immer häufiger mit klassischen Ladengeschäften. Das Integrated Commerce getaufte Modell sieht meist so aus: Schuhgeschäft X in Stadt Y erweitert den Lagerbestand um Zalando-Ware. Über eine App sucht der Kunde ausschließlich nach Produkten, die in Geschäften in seiner Stadt gelagert sind. Bestellt wird wie gewohnt online. Das Paket verschickt dann aber nicht Zalando, sondern der Ladenbesitzer vor Ort, der dafür eine Provision erhält. Zalando will diesen Dienst später als Plattform auch anderen Händlern zur Verfügung stellen. Vermutlich wird der Kunde die Ware selbst abholen können. Das Ladengeschäft wird damit zum Pick-up-Point. Online verschmilzt mit Offline.

Aus Logistik-Sicht interessant sind dabei gleich mehrere Faktoren. Zum einen erweitert Zalando so auf einfache Weise seine Lagerkapazität. Gleichzeitig rückt das Unternehmen näher an den Endkunden heran. Durch die App erhält Zalando Daten über das Kundenverhalten. Ein erstes Ergebnis überraschte: Den Kunden war die rasche Auslieferung gar nicht so wichtig. Entscheidender ist die Belieferung im vorab vereinbarten Zeitraum.

Die „letzte Meile“ wird zum Dreh- und Angelpunkt der Logistikkette

75% aller Deutschen leben in der Stadt, Tendenz steigend. Städtisches Leben bedeutet für immer mehr Menschen, dass sie auf ein eigenes Auto verzichten. Der Endverbraucher wird daher immer engmaschigere Lieferketten wünschen. Der Weg zum Produkt soll möglichst klein sein. Der Handel hat sich bereits darauf eingestellt – zwischen 2011 und 2012 fanden sich nur fünf Prozent aller Neueröffnungen auf der grünen Wiese, satte 80% aller Neueröffnungen fielen auf die Innenstädte.

Die Innenstädte ächzen zugleich unter dem Onlinehandel. In der Weihnachtszeit verstopfen KEP-Dienste oft ganze Straßenzüge. Auch hier bietet das Integrated-Commerce-Modell zumindest Potential für Entlastung: Je näher Artikel am Kunden gelagert werden, desto kürzer sind die Transportwege.

Effizient kann nur sein, wer seine Kunden versteht

Zum Konzept der Automatisierung und Bündelung wird daher künftig die Informationsgewinnung in der Logistikbranche hinzukommen. Nur so werden sich Effizienzgewinne und Kundenwünsche miteinander verbinden lassen. Bedürfnisse einzelner Kunden können in Clustern zusammengefasst werden. Dadurch bliebe es weiter möglich, Transporte zu bündeln und effizient zu halten. Datenanalysen sowie die Vernetzung der Dinge ermöglichen es zudem, den Transportbedarf besser als heute zu antizipieren. Ein Beispiel dafür ist Amazons Dash-Button. Geht einem Haushalt das Waschmittel aus, wird es automatisch nachbestellt. Durch Big Data lassen sich solche Nachbestellungen sehr präzise vorhersagen. Auf Dauer könnten so Datenpools entstehen, die neue Effizienzgewinne für eine Logistik versprechen, die eng verzahnt ist mit Warenversendern und -empfängern.

Fazit: Der Endverbraucher drängt mit verändertem Kaufverhalten auch die Logistik zur Digitalisierung. Die neue Just-In-Time- und On-Demand-Mentalität erfordert ein tieferes Verständnis von Kundenwünschen. Auf diese einzugehen, gelingt nur durch die Digitalisierung möglichst aller Positionen im Supply Chain Management. Die Supply-Chain als Zirkel zu denken, deren Anfangs- und Endpunkt jeweils der Kunde ist, trifft den Kern des Wandels, den die Logistik zu bewältigen hat.

Hackerangriffe – Transporteure und Logistiker steuern dagegen

„Hacker halfen Drogenschmugglern beim Containerklau“, titelte das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Der Fall war so spektakulär wie raffiniert: Kriminelle heuerten Hacker an, die sich in die Systeme von zwei Logistikdienstleistern einklinkten. Bei scheinbar unverdächtigen Sendungen, etwa Bananen oder Holz, mogelten die Kriminellen jahrelang Heroin und Kokain aus Südamerika unter die Fracht. Die Hacker halfen dann, genau diese Container im Hafen Antwerpen wiederzufinden und zu stehlen.

Ein solcher Coup wäre unmöglich ohne den heutigen verknüpften Material- und Datenfluss – und seine Schwachstellen. Wo Funkchips (RFID) selbstständig Daten senden, können nicht nur Hersteller und Transporteure herausfinden, wo sich ihre Ware gerade befindet.

Aus ehemals staatlichen Unternehmen wurden weltweit tätige Transport- und Logistikdienstleister. Die Digitalisierung macht vieles einfacher, schneller, präziser und effizienter. In der Euphorie wird oft vernachlässigt, dass mit den neuen Potenzialen neue Risiken auftauchen.

Eine dieser Gefahren heißt Wirtschaftsspionage: Vertrauliche Daten können ausgespäht werden. Nicht allein von Erpressern oder Drogenhändlern, wie im Fall Antwerpen. Immer öfter wird u.a. aus Fernost versucht, das Geschäft der Konkurrenten zu sabotieren oder relevantes Wissen zu stehlen. Die Angreifer sind meist staatlich beauftragt, gut organisiert und technisch hochgerüstet.

Vielen fehlt die richtige Agenda

Das Dilemma: Das Gros der Entscheider weiß um die neue Kartografie der Risikolandkarte, aber die wenigsten sichern sich ab, vor allem gegen Cyberkriminalität.

Die Auswirkungen wären enorm, wenn Hacker im großen Stil in den Bahn- und Luftverkehr eingreifen oder dort Daten stehlen. Konnten Einbrecher früher nur durch einige Türen oder Fenster ins Firmengebäude eindringen, bietet der digitale Fortschritt unendlich mehr Möglichkeiten für Kriminelle – jedes technische Gerät, das online ist, kann gehackt werden, sogar die Bordelektronik von Fahrzeugen oder Schiffen. Oder, um ganz simpel anzufangen: Mobiltelefone.

Völlig andere Anforderungen an Sicherheit

Wie sehen also wirkungsvolle Maßnahmen aus? Die schlechte Nachricht: Rundum-Sorglos-Pakete oder Komplettlösungen gibt es nicht. Jede Branche, Unternehmenskultur und IT-Infrastruktur verlangt individuelle Konzepte.

Die gute Nachricht: Lösungen liegen größtenteils schon in der Schublade. Zum Beispiel aus anderen Branchen, die sich quasi eine Epoche vorher mit Cyberkriminalität auseinanderzusetzen hatten. Wie Banken oder Regierungen. Der bemerkenswerte Paradigmenwechsel in der IT-Sicherheit geht weg von der Illusion, alles im Vorfeld verhindern zu können, hin zu schneller Erkennung und Reaktion.

Effektives Notfallmanagement

Was bedeutet das für die Praxis? Ein erster Schritt ist immer, die eigenen Risiken zu ermitteln, das Risk Assessment. Bevor man sich dann an spezifische Lösungen und Compliancesysteme wagt, helfen erste Maßnahmen wie zu hinterfragen, ob wirklich alles mit allem vernetzt sein muss. Schwachstellen wie die Fernwartung sollte man abschirmen und Sicherheitschecks für Lieferwege einführen. Wer sensible Daten, E-Mails und Festplatten von Mobilgeräten verschlüsselt, sichere Passwörter nutzt, Soft- und Hardware regelmäßig aktualisiert, hat den Basisschutz. Ganz wichtig ist auch ein Notfallplan mit klaren Strategien für den Ernstfall – Fachleute sprechen hier von DFIR-Readiness.

Natürlich macht es Sinn, solche punktuellen Ansätze in ein bestehendes Compliance-System einzubinden. Angefangen bei einer soliden Risikoanalyse bis hin zu anlassbezogenen Hintergrundrecherchen, IT-gestützten Integritätsscreenings und integrierten Compliance- und Cyber-Security-Systemen.

Die Signalwirkung ist groß, die von Deutschlands drittgrößtem Wirtschaftsbereich ausgeht. Was Logistiker und Transporteure jetzt richtig machen, wird Maßstäbe setzen. Gelingt es ihnen, die Fragen der Industrie 4.0 erfolgreich zu beantworten, werden weitere Branchen nachziehen. Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass Autobauer erst dann wirklich in autonom fahrende Pkw investieren werden, wenn autonom fahrende Lkw oder Züge sicher und praxistauglich sind.

Mitarbeiter für das Thema sensibilisieren

Doch sollte man sich nicht blindlings auf die Technologie verlassen. Der menschliche Faktor ist entscheidend, vor allem wenn es um Fehlverhalten und Kriminalität geht. Jede Firewall ist nur so gut wie der Mensch, der sie pflegt. Umsichtiges Handeln zählt auch beim Gabelstaplerfahrer und Lagerarbeiter.

Klare Regelungen helfen: Wer darf im internen Netzwerk auf welche Daten zugreifen; wer hat Zutritt zu sensiblen Bereichen im Haus? Praxisnahe Schulungen der Mitarbeiter oder Integritätsscreenings von Bewerbern – für das Fahren von Geldtransportern – sind schon gängige Praxis.

Zentral ist auch, wie die Unternehmensleitung mit dem Thema Sicherheit umgeht, wie Transparenz, Integrität und Effizienz verstanden und gelebt werden. Mitarbeiter, die sich trauen nachzufragen, und die angstfrei auf Fehler hinweisen dürfen, sind der beste Schutz – selbst gegen neueste Formen von IT-Kriminalität oder Non-Compliance.

Wert und Werte schützen

Risikomanagement und Integrität dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Kriminelle wagen ungewöhnliche Wege. Deshalb lieber ganzheitlich denken: Cybersicherheit ist weit mehr als ein Technikthema. Schließlich dreht sich „gute“ Governance auch um menschliches Verhalten. Daran müssen Sicherheits- und Compliance-Verantwortliche im Industrie 4.0-Zeitalter denken.